Digital ist besser – aber für alle!

Technologische Entwicklung bringt Fortschritt in den unterschiedlichsten Bereichen - es muss jedoch darauf geachtet werden, dass die Vorteile allen zugute kommen. Ein Kommentar von Veronika Bohrn Mena.

Könnt ihr euch noch an die Werbespots der 1950er- und 1960er-Jahre erinnern? Damals war Werbung für den technologischen Fortschritt im Haushaltsbereich fast immer auch an das Versprechen geknüpft, dass damit eine bedeutsame Arbeitserleichterung für die klassische Hausfrau verbunden wäre. Man denke an die heute oft skurril anmutende sexistisch-stereotype Werbung für Einbauküchen, Waschmaschinen, Staubsauger oder später die Mikrowelle. Das vermeintliche Heilsversprechen: Setze auch du auf den technologischen Fortschritt, kaufe das neueste Produkt, dann hast du mehr Zeit zur Verfügung für jene Dinge, die dir im Leben wirklich Spaß machen! Ein Versprechen, das so natürlich nie eingelöst wurde, aber immerhin sehr erstrebenswert schien.

Technischer Wandel und Arbeitszeit

Zwischen 1959 und 1975 wurde die Wochenarbeitszeit schrittweise von 48 auf 40 Stunden pro Woche reduziert.

In der Arbeitswelt hat der technische Wandel zur gleichen Zeit mehr Freizeit und kürzere Arbeitszeiten für die Beschäftigten gebracht. Zwischen 1959 und 1975 wurde die Wochenarbeitszeit schrittweise von 48 auf 40 Stunden pro Woche reduziert. Es war die glorreiche Hochzeit der Vollbeschäftigung und des Wirtschaftswachstums. Das sichere „Normalarbeitsverhältnis“, der unbefristete Vollzeitarbeitsplatz, war geboren und sogleich die Regel, Ausnahmen musste man suchen. Das war in den Fabriken ebenso wie auch in der Landwirtschaft, im Angestelltenbereich oder im Dienstleistungssektor. Schon dreißig Jahre zuvor konnten das Fließband und die Maschinen schneller und effizienter Arbeiten erledigen als der Mensch. So war es nur schlüssig gewesen, dass die ArbeiterInnen entlastet wurden, immerhin war die Produktivität enorm gestiegen und somit der 8-Stunden-Arbeitstag im Jahre 1918 schließlich für alle durchgesetzt worden.

1918 wurde der 8-Stunden-Tag für alle durchgesetzt.
Die Geschichte des technischen Fortschritts war also immer begleitet von steigender Produktivität, einer Verdichtung der Arbeit und dadurch auch Verkürzung der Arbeitszeit. Eine Entwicklung von der alle profitieren, Unternehmen wie Beschäftigte und ihre Angehörigen. Doch ab den 1980er-Jahren wurde dieses Selbstverständnis zunehmend Geschichte. Margaret Thatcher und Ronald Reagan etablierten eine neue Art der Wirtschaftspolitik und begannen die Arbeitsmärkte in ihren Ländern radikal zu deregulieren. „Flexicurity“ hieß ihr neues Dogma: Es versprach, dass eine deregulierte Wirtschaft und so wenig Spielregeln für Unternehmen wie möglich das Wirtschaftswachstum weiterbefördern und zusätzliche neue Jobs schaffen würden. Und damit ging es für die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften wieder bergab. Die Arbeitszeiten wurden wieder länger, die Mindestlöhne sanken, und die Arbeitsplatzsicherheit nahm radikal ab. Eine Entwicklung, die sich später auf ganz Europa ausweiten würde. Ein Großteil der lokalen Produktion und viele weitere Arbeitsprozesse wurden seither auch schlicht in den globalen Süden ausgelagert, weil „der Faktor Arbeit“ dort weniger kostet, die Menschen dort bis heute schlechter bezahlt werden und leichter ausgebeutet werden können.

Abkehr von kürzeren und gesünderen Arbeitszeiten

Mit der letzten Regierung hat sich unsere Arbeitszeit durch die Einführung des 12-Stunden-Tages wieder wesentlich verlängert.

Folglich verhält es sich auch heute im digitalen Wandel nicht anders. Zwar wurde in den letzten fünfzig Jahren eine Kleinigkeit namens World Wide Web samt E-Mails erfunden, und automatisierte Abläufe, gesteuert von Algorithmen und Robotern, haben immer mehr Aufgaben übernommen. Zudem haben sich unsere Arbeitsprozesse massiv beschleunigt und verdichtet, was viele Jobs heute umso anstrengender macht, aber trotzdem gab es seither keine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung mehr in Österreich. Im Gegenteil, die letzte Regierung aus ÖVP und FPÖ hat unsere Arbeitszeit mit der Einführung des 12-Stunden-Tages sogar wieder wesentlich verlängert. Eine komplette Abkehr vom vorherigen rund hundert Jahre währenden positiven Trend zu kürzeren und gesünderen Arbeitszeiten.

Gewinner und Verlierer

Der Profit einiger weniger kann auf diese Weise ins Unermessliche gesteigert werden, aber immer mehr Beschäftigte verlieren dabei: Lebenszeit, ihre Gesundheit, Geld und langfristig mitunter auch ihre Jobs. Die Zahl der atypischen Beschäftigungsverhältnisse steigt stark, seit 2012 ist in Österreich kein einziger zusätzlicher Vollzeitjob mehr entstanden, stattdessen boomen schlecht bezahlte Teilzeit-Jobs und die ohnehin stattfindende Arbeitszeitverkürzung verläuft auf Kosten der Beschäftigten. Aus einem ordentlichen Anstellungsverhältnis mit Urlaubsanspruch, Krankenversicherung und kollektivvertraglichen Ansprüchen wird ein befristeter Dienstvertrag, Zeitarbeit oder eine nur scheinbare Selbstständigkeit.

Seit 2012 ist in Österreich kein einziger zusätzlicher Vollzeitjob mehr entstanden.

Digitalisierung human gestalten

Die Digitalisierung bringt derzeit also in erster Linie jenen etwas, die sie nutzbringend für sich gestalten können. Und das sind in der Regel diejenigen mit dem nötigen Know-how und dem Zugang zu Kapital. Die einfache Handelsangestellte sieht sich hingegen mit Kassa-Automaten konfrontiert, die sie mittelfristig zur Hilfskraft degradieren und langfristig komplett abschaffen werden. Auf einer Online-Plattform werden Kleidungsstücke ausgesucht und bestellt, der namenlose Zusteller, der vermeintlich für die Post arbeitet, aber in Wahrheit als Schein-Selbstständiger nur ihr Shirt trägt, bringt es bis zur Haustür. Kein Schaufenster, kein Warenhaus, kein Verkäufer und keine Verkäuferin. Es bleiben die Kinder in ihren elenden Nähfabriken in Bangladesch, es bleiben die Transporteure, und es bleiben die prekär beschäftigten ZustellerInnen.

Die einzige logische Antwort auf den technologischen Fortschritt muss eine Arbeitszeitverkürzung sein: eine, die auf gesetzlicher Basis allen zugutekommt.

Ungeachtet dessen, dass die Qualität der Arbeit für manche durch den digitalen Fortschritt steigt, heißt das aber immer noch nicht, dass sie an den aktuellen Produktivitätszuwächsen in einem fairen Ausmaß beteiligt werden. In der Regel steigt die Produktivität ungleich stärker als die Lohnkurve. Deswegen geht es nicht darum, den digitalen Fortschritt aufzuhalten oder zu bekämpfen, er ist ohnehin die Realität. Aber er muss human gestaltet werden. Die einzige logische Antwort auf den technologischen Fortschritt muss eine Arbeitszeitverkürzung sein. Aber eine, die nicht auf dem Rücken der Beschäftigten vollzogen wird, durch die Prekarisierung der Arbeitswelt, sondern eine, die auf gesetzlicher Basis schließlich allen zugutekommt. Damit endlich wirklich mehr Zeit zum Leben bleibt.

Über den/die Autor:in

Veronika Bohrn Mena

Veronika Bohrn Mena ist Autorin des Buches „Die neue ArbeiterInnenklasse – Menschen in prekären Verhältnissen“ und beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit prekären Arbeitsverhältnissen, Segmentierungsprozessen und Veränderungen in der Arbeitswelt mitsamt ihren Auswirkungen. Sie ist ausgebildete Fotografin und hat Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien studiert. Seit 2013 arbeitet sie hauptberuflich in der Gewerkschaft GPA-djp in der Interessenvertretung als Expertin für atypische Beschäftigung. Sie war auch die Vorsitzende der Plattform Generation Praktikum und hat sich als Studentin in der ÖH Bundesvertretung engagiert.

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