Zum Beispiel: Anna
… ist 72 Jahre alt. Sie ist seit mehreren Jahren in einer neuen Partnerschaft. Ihr Partner kann nicht zu ihr ziehen. Warum nicht? Sie bekommt eine niedrige Pension und Wohnbeihilfe. Würde ihr Partner sich bei ihr melden, wäre die Beihilfe weg. Dass Anna das nicht möchte, kann man nachvollziehen.
Equal Pension Day: Weniger Einkommen, weniger Pension
Der Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männern beträgt in Österreich immer noch 19,9 Prozent. Das trägt maßgeblich dazu bei, dass Frauen weniger Pension bekommen als Männer. Sybille Pirklbauer ist Leiterin der Abteilung Sozialpolitik der Arbeiterkammer Wien. Sie erklärt in einem Beitrag auf dem A&W-Blog: „Der gesamte Gender Pay Gap beträgt 36,7 Prozent. Die unterschiedliche Arbeitszeit von Frauen und Männern (Teilzeit) erklärt davon 14,5 Prozentpunkte. Also knapp die Hälfte dieses Unterschieds. Bereinigt man den Gender Pay Gap um weitere „objektive“ Faktoren wie unterschiedliche Branchen („Männerbranchen“ sind meist höher entlohnt) oder Berufe (technische Berufe sind in der Regel gut bezahlt), verbleibt noch immer ein Rest von 13,6 Prozent, der durch keinen sachlichen Faktor erklärt werden kann.“ Es geht um die strukturelle Benachteiligung von Frauen.
Warum hat Anna so eine kleine Pension?
Anna hat im Gastgewerbe als Kellnerin gearbeitet. Dabei handelt es sich nicht gerade um eine Hochlohnbranche, und die Aufstiegsmöglichkeiten sind auch begrenzt. Anna hat zwei Söhne und hatte dadurch Berufsunterbrechungen. Dieser Erwerbsverlauf hängt ihr ein Leben lang nach, bis zur Höhe ihrer Pension – und bis zur Entscheidung, ihren Partner nicht bei sich zu melden.
Fehler im System: Von Arbeitslosengeld bis zur Pension
Für Frauen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, verschärft sich die Situation im Sozialstaat weiter. Niedrigere Einkommen bedeuten auch ein niedrigeres Arbeitslosengeld. Das Risiko, rasch an die Armutsgrenze zu kommen, ist sehr hoch. Rund 90 Prozent der Arbeitslosenbezieherinnen in Österreich erhalten Arbeitslosengeld unter der Armutsgefährdungsschwelle. Also unter 1.238 Euro (2017). Bei 60 Prozent liegt das Arbeitslosengeld sogar unter dem Richtsatz der Mindestsicherung (863 Euro 2018). Ein wichtiger Schritt war hier die Streichung der Anrechnung des Partnereinkommens bei der Notstandshilfe.
Immer noch sind es hauptsächlich Frauen, die sich um Betreuungsarbeit innerhalb der Familie kümmern. Das trifft alle Frauen, die Angehörige pflegen und so Arbeitszeit reduzieren oder zeitweise ganz aussteigen. Zieht man die gesamte Arbeitszeit von Frauen heran, bezahlte wie unbezahlte, dann arbeiten Frauen trotz hoher Teilzeitquote mehr als Männer. Und zwar pro Tag um 150 Minuten. Das geht aus einer aktuellen Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) hervor.
Höhere Altersarmut
Niedrige Einkommen, Berufsunterbrechungen, geringe Aufstiegschancen, Teilzeitarbeit, unbezahlte Arbeit – das alles sind Faktoren, die zu niedrigen Frauenpensionen und vielfach zu Altersarmut führen.
Alleinlebende Frauen
Armutsrisiko
26 %
Alleinlebende Männer
Armutsrisiko
15 %
Trennungen verschärfen die Situation. Denn alleinlebende Pensionistinnen haben ein höheres Armutsrisiko (26 Prozent) als alleinlebende männliche Pensionisten (15 Prozent). Diese Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Altersarmut ist weiblich.
Anna kommt mit ihrer Pension zurecht.
Sie fühlt sich auch nicht „arm“. Dinge wie jährliche Urlaube sind allerdings unerreichbarer Luxus – es bleibt beim Besuch des Strandes im Wiener Gänsehäufel mit den öffentlichen Verkehrsmitteln.
Equal Pension Day als Mahnmal
Die Österreichische Gewerkschaftsjugend verlangt intensive Berufsorientierung in den Pflichtschulen. Denn immer noch entscheidet sich fast die Hälfte der Mädchen für eine Lehre als Bürokauffrau, Friseurin oder Einzelhandelskauffrau. Bei der Berufsorientierung muss es auch darum gehen, wie die Jobchancen, die Einkommen und die Aufstiegsmöglichkeiten sind.
Die Lage ist also bekannt, unerfreulich, inakzeptabel. Und absolut nicht unveränderbar. Es gibt Verbesserungen, darunter der Entfall der Anrechnung des Partnereinkommens bei der Notstandshilfe. Oder die kürzlich beschlossene volle Anrechnung der Karenzzeiten auf alle Ansprüche. Aber auch Frauen, die nicht in Partnerschaften leben oder keine Kinder haben, sind im Nachteil. Die Gewerkschaften erreichen bei ihren Kollektivvertragsverhandlungen immer wieder die stärkere Anhebung niedriger Einkommen, das kommt vielfach den Frauen zugute. Aber es braucht vor allem von der Politik mehr, schnellere, engagiertere Maßnahmen.
Erwerbsunterbrechungen sind ein wesentlicher Karriere- und Einkommensknick für Frauen. Der Ausbau von ganztägigen Kinderbetreuungseinrichtungen mit Öffnungszeiten für ganztägig berufstätige Eltern – ohne Schließzeiten im Sommer – muss daher massiv vorangetrieben werden. In Vorarlberg, Tirol und in der Steiermark ist jeder zweite Kindergarten maximal bis 15 Uhr geöffnet – im Jahr 2022!
Equal Pension Day in den Bundesländern
Zwar fällt der Equal Pension Day 2022 österreichweit auf den 3. August, es gibt von Bundesland zu Bundesland aber große Unterschiede. So ist Wien beispielsweise das einzige Bundesland, bei dem Männer erst im September die Jahrespension der Frauen verdient haben. Während das in Vorarlberg bereits Anfang Juli der Fall ist. Der Equal Pension Day nach Bundesländern:
- Wien – 09. September
- Kärnten – 06. August
- Salzburg – 31. Juli
- Niederösterreich – 31. Juli
- Burgenland – 29. Juli
- Steiermark – 27. Juli
- Tirol – 22. Juli
- Oberösterreich – 14. Juli
- Vorarlberg – 09. Juli
Der Equal Pension Day wurde erstmals im Jahr 2015 errechnet. Seitdem hat sich der Tag um immerhin acht Tage nach hinten verschoben. Zwar konnte Wien den Tag um fast drei Wochen nach hinten schieben, Tirol allerdings nur um drei Tage. So oder so: Es bleibt ein Schneckenrennen.
Just do it!
Es ist ja nicht so, dass man noch nicht wüsste, was es bräuchte. Man muss nichts mehr analysieren, evaluieren, in Enqueten oder Arbeitsgruppen erörtern. Man muss es nur tun. Zu diesen Lösungen gehören einerseits umfassende Berufsorientierung und ausreichende Kinderbetreuungseinrichtungen. Andererseits der Ausbau der Angebote im Bereich der Pflege und eine Anhebung des Arbeitslosengeldes. Auch leistbares Wohnen, gut ausgebaute und günstige öffentliche Verkehrsmittel sollten Standard sein. Eine Arbeitszeitverkürzung, die Wiedereinführung der „Aktion 20.000“ oder mehr Qualifizierungsmaßnahmen für arbeitslos gewordene Frauen können deren Situation ebenfalls deutlich verbessern.
Eine persönliche Anmerkung: Ich habe zwei Töchter, die am Beginn ihres Berufslebens stehen. Ich möchte nicht, dass sie sich über ein, zwei Verbesserungen jedes Jahr freuen. Ich möchte für sie ein schönes Leben und eine sorgenfreie Pension. Damit sie sich auch im Alter noch neben ihrer Miete und ihren Fixkosten einen Sommerurlaub in Spanien und Schiurlaub in Österreich und, wenn nötig, eine neue Waschmaschine leisten können.