Ziele für alle
„Nachhaltiges Wirtschaftswachstum und menschenwürdige Arbeit für alle“
Es geht darum, „dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle“ zu fördern.
Ein großes Ziel. Immerhin geht die International Labor Organization (ILO) davon aus, dass bis zum Jahr 2030 mehr als 600 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze entstehen müssten, um mit dem Wachstum der Weltbevölkerung Schritt zu halten.
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Anständig, fair, annehmbar
Und neue wie alte Arbeitsplätze sollen eben nicht bloß irgendwelche Arbeitsplätze unter fragwürdigen Bedingungen sein, sondern „decent work“ bieten, wie es in den SDGs auf Englisch heißt. Das lässt sich als „menschenwürdige Arbeit“ ins Deutsche übersetzen, jedenfalls verwenden die Vereinten Nationen selbst diesen Begriff. Man könnte auch von anständig, angemessen, ordentlich, annehmbar oder fair sprechen. Und über die Bedeutung all dieser Begriffe wird bekanntlich seit jeher gestritten. Deshalb sind an das achte der SDGs zwölf Unterziele und Indikatoren geknüpft, die einerseits helfen sollen, das Ziel zu präzisieren, und andererseits, Aussagen über den Fortschritt beim Erreichen des Ziels treffen zu können.
In seiner Zielsetzung und auch bei den Indikatoren berührt das SDG 8 thematisch jenen Bereich, für den die Vereinten Nationen seit 1946 über eine eigene Sonderorganisation verfügen, die sogar älter ist als die Vereinten Nationen selbst. Die ILO wurde nämlich bereits 1919 gegründet, um weltweit für soziale Gerechtigkeit, Arbeits- und Menschenrechte zu sorgen.
Die ILO hat dementsprechend eine Art Wächteramt über die Unterziele und Indikatoren, die im achten Ziel enthalten sind. Die Unterziele sind großteils qualitativer Art. Sie lauten zum Beispiel: „ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum pro Kopf gemäß den nationalen Gegebenheiten“; oder: „entwicklungsorientierte Strategien zur Unterstützung produktiver Aktivitäten“.
Was „gemäß nationalen Gegebenheiten“ nachhaltig ist oder was eine „Strategie für produktive Aktivitäten“ ausmacht – auch darüber lässt sich diskutieren. Einigen Zielen wurden jedoch auch recht eindeutig messbare Indikatoren zugeordnet. Zum Beispiel wird gefordert, dass die am wenigsten entwickelten Länder „mindestens sieben Prozent Bruttoinlandsprodukt-Wachstum pro Jahr“ anstreben sollten. Oder es wird die „Beseitigung der Zwangsarbeit, Beendigung der modernen Sklaverei und des Menschenhandels“ gefordert. Der Mix aus materiellen und eher ideellen Zielen, aus qualitativen und quantitativen Indikatoren macht es schwierig, die Fortschritte beim Erreichen des achten SDGs klar zu benennen.
Fragwürdiger Fokus auf Wachstum
Neben der dadurch entstehenden Unschärfe beim Monitoring der Ziele wird von KritikerInnen auch bemängelt, Ziel 8 habe einen zu engen Fokus auf Wachstum. Schließlich würden Aufgaben wie der Abbau sozialer Ungleichheit oder die Entwicklung starker Institutionen ebenfalls zum Erreichen des Ziels menschenwürdiger Arbeit beitragen – durch die Unterziele und Indikatoren ist dies aber kaum abgebildet.
Überhaupt könne SDG 8 kaum isoliert betrachtet werden. Denn SDG 10 zur „Verringerung der Ungleichheit innerhalb und zwischen Ländern“ oder SDG 5 zur „Gleichstellung der Geschlechter und Stärkung aller Frauen und Mädchen“ spielten für menschenwürdige Arbeit ebenfalls eine erhebliche Rolle.
Langsame Fortschritte
Bei aller Kritik an der Formulierung des achten Ziels: Es scheint jedoch auch Fortschritte in den Bereichen, um die es bei ihm geht, zu geben – wenn auch langsame. Die ILO hat vier Jahre nach dem Beschluss der SDGs untersucht, wo verschiedene Staaten bei der Erreichung von SDG 8 stehen. In dem Bericht darüber, der Teil des „World Employment and Social Outlook 2019“ ist, heißt es: „Gemessen an den zwölf miteinander verbundenen Zielen von SDG 8 waren die Fortschritte der letzten Jahre langsamer als erwartet. Tatsächlich ist es unwahrscheinlich, dass SDG 8 bei der derzeitigen Verbesserungsrate bis 2030 erreicht wird. Es bestehen weiterhin große Lücken, sowohl zwischen als auch innerhalb der einzelnen Länder.“ Die ILO merkt an, dass sich das globale Wachstum in den nächsten Jahren laut aktuellen Prognosen verlangsamen wird. Deshalb sieht sie die Gefahr, „dass es noch länger dauert, als ursprünglich erwartet, um diese Lücken zu schließen.“
Menschenwürdige Arbeit bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum wird wohl kaum bis 2030 erreicht – und schon gar nicht für alle.
Menschenwürdige Arbeit bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum wird wohl kaum bis 2030 erreicht – und schon gar nicht für alle. So lautet eine schlichte Zusammenfassung der ILO-Analyse. Die Organisation benennt auch die Bereiche, in denen die Staaten der Erde noch vor besonders großen Herausforderungen stehen. Dazu zählt zum Beispiel die informelle Beschäftigung, also jene Arbeit, die ohne Arbeitsvertrag und ohne Einhaltung geltender arbeitsrechtlicher Bestimmungen geschieht. In 112 Staaten, über die ausreichend belastbare statistische Daten vorliegen, liege der Anteil der informell Beschäftigten (außerhalb der Landwirtschaft) bei über 50 Prozent, heißt es vonseiten der ILO.
Auch anhand des Gender Pay Gaps zeigt sich, dass weltweit noch längst kein „equal pay“ erreicht wurde, wie er im SDG 8 angestrebt wird.
Und auch anhand des Gender Pay Gaps zeige sich, dass weltweit noch längst kein „equal pay“ erreicht wurde, wie er im SDG 8 angestrebt wird. Das beweist auch der Equal Pension Day. Weltweit gibt es nach ILO-Zahlen nur einen einzigen Staat mit einem faktorgewichteten geschlechtsspezifischen Lohngefälle, das zugunsten der Frauen ausfalle, nämlich Bangladesch. In allen anderen Ländern falle das faktorgewichtete geschlechtsspezifische Lohngefälle zugunsten der Männer aus und liege meist zwischen 10 und 25 Prozent.
Handlungsbedarf
Auch bei Themen wie nicht nachhaltigem Konsum, eingeschränktem Zugang zu Finanzdienstleistungen, Arbeitslosigkeitsrisiken, Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen, Ausschluss junger Menschen vom Arbeitsmarkt gebe es weltweit noch großen Handlungsbedarf. Allerdings gibt es laut ILO große Unterschiede zwischen unterschiedlichen Staaten und Regionen. Die AutorInnen der ILO-Studie folgern: „Wenn in all diesen Bereichen keine größeren Fortschritte erzielt werden, wird die globale Gemeinschaft nicht in der Lage sein, einen Weg des integrativen und nachhaltigen Wirtschaftswachstums einzuschlagen, der von allen Ländern und ArbeitnehmerInnen im Sinne von SDG 8 geteilt wird.“
Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung:
tinyurl.com/yxz37ajx
Leitfaden zu SDG-Arbeitsmarktindikatoren:
tinyurl.com/y6t7h8d9
Weltbeschäftigung und sozialer Ausblick:
tinyurl.com/y2oeomgj
Thomas Stollenwerk
Politologe und Journalist
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 6/19.
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