Reportage: Arbeitsmarktpolitik: Chancen fördern?

(C) Michael Mazohl

Inhalt

  1. Seite 1 - Unter Druck
  2. Seite 2 - Abwertende Bilder
  3. Seite 3 - Verlorene Chance
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Druck und Forderungen: Damit sind Arbeitsuchende vonseiten der Behörden seit einiger Zeit immer wieder konfrontiert. ExpertInnen und Betroffene sprechen darüber, was sich in der Arbeitsmarktpolitik verbessern muss und wie die Arbeiterkammer Betroffenen hilft.
Jutta Konvicka ist Mitte vierzig, als sie 2012 auf Jobsuche ist. Zwölf Jahre lang hatte sie bei einem privaten Bildungsanbieter gearbeitet, als ihr auf einmal mitgeteilt wurde: Aus wirtschaftlichen Gründen müsse man sich von einer Arbeitskraft in der Verwaltung trennen, die Wahl sei auf sie gefallen. Die Jobsuche läuft zäh, obwohl sie sich weiterqualifiziert und 2016 im Rahmen des AMS FiT-Programms (Frauen in Handwerk & Technik) ein Kolleg für Wirtschaftsingenieurwesen abschließt. Konvicka schreibt unzählige Bewerbungen, viele bleiben ohne Antwort, oder es kommt zurück: „Danke für Ihre interessanten Unterlagen, aber wir haben passendere Bewerbungen.“ „Das ist ein sehr ungutes Gefühl“, erinnert sie sich. Ob die Absagen mit ihrem Alter zu tun haben, kann die heute 53-Jährige nur vermuten. Fest steht allerdings, dass sich Menschen ab einem gewissen Alter am Arbeitsmarkt schwertun.

Unter Druck

Gernot Mitter beschäftigt sich als Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der AK Wien seit Jahren intensiv mit der Arbeitsmarktpolitik österreichischer Regierungen. Vor allem in den letzten 16 Monaten ortet er einen autoritären Umgang mit Arbeitsuchenden. Die geplatzte ÖVP/FPÖ-Regierung habe eine Politik des Forderns statt des Förderns betrieben. „Die Sanktionen gegenüber Arbeitslosen, etwa Kürzungen des Arbeitslosengeldes, haben sich von 2017 auf 2018 verdoppelt“, betont Mitter. Zudem hatte die Regierung geplant, die Zumutbarkeitsbestimmungen aufzuweichen und den Berufsschutz stark zu verändern. Damit hätte sich der Druck auf arbeitslose Menschen weiter verschärft. Viele hätten damit Jobs unter ihrer erreichten Arbeitsmarktposition annehmen müssen, womöglich mit längeren Anfahrtszeiten und schlechteren Arbeitsbedingungen. „Die Idee, dass man Arbeitslosigkeit verringert, indem man den Druck erhöht, ist empirisch nicht erwiesen und eine ideologische Haltung“, kritisiert der Arbeitsmarktexperte. Qualifizierungsmaßnahmen hält er für zielführender.

Wir sind gerade für Menschen in instabilen Arbeitsverhältnissen ein wichtiger Ansprechpartner, um ihre Rechte durchzusetzen und sie vor unseriösen Angeboten zu warnen.

Gernot Mitter, Arbeiterkammer Wien

Was Förderung und Unterstützung von Arbeitsuchenden angeht, hat die AK als gesetzliche Interessenvertretung viele Aufgaben, wie die Begutachtung von Gesetzesentwürfen, die Formulierung von Gesetzesvorschlägen, die Publikation von Studien sowie Beratungs- und Rechtsvertretung. „Wir sind gerade für Menschen in instabilen Arbeitsverhältnissen ein wichtiger Ansprechpartner, um ihre Rechte durchzusetzen und sie vor unseriösen Angeboten zu warnen“, so Mitter. Genau das ist Jutta Konvicka passiert.

Der Vertrag

Im Juni 2017 erhält Konvicka das Angebot, in einem kleinen Wiener Elektroingenieursbetrieb zu arbeiten, zunächst für drei Wochen als Urlaubsvertretung, mit Option auf zwei Monate. Vermittelt wurde sie vom sozialen Arbeitskräfteüberlasser Trendwerk. Schon in den ersten Tagen folgte die Ernüchterung: „Mir wurde ein Dienstzettel vorgelegt, nach dem ich nur als ,Bürohilfskraft‘ angestellt gewesen wäre.“ Von Hilfskraft konnte aber keine Rede sein: „Ich habe das Büro de facto alleine geschupft, weil die beiden Geschäftsführer oft nicht im Betrieb waren.“ Ihre Aufgaben: Sie schrieb Kostenvoranschläge und Rechnungen, organisierte die Ablage und verantwortete den gesamten Schriftverkehr. In einer Mittagspause rief sie bei der Arbeiterkammer an. „Dort wurde mir bestätigt, dass ich falsch eingestuft und in der falschen Verwendungsgruppe bin. Da dachte ich mir: Das unterschreibe ich nicht. Ausbeuten ist nicht okay.“ Konvicka wird nicht verlängert.

Stimme im AMS

Im neunköpfigen Verwaltungsrat des AMS haben ÖGB und AK ein Drittel der Sitze inne und so bei Förderrichtlinien und Budget ein Wörtchen mitzureden. „Bisher war eine hohe Konsensorientierung Tradition“, berichtet Mitter. Diese sei nun gefährdet. So trat trotz Kritik der ArbeitnehmervertreterInnen im September 2018 der Beschluss in Kraft, dass die Ausbildungsbeihilfe für Jugendliche über 18 Jahren, die eine überbetriebliche Ausbildungseinrichtung besuchen, in den ersten zwei Lehrjahren von 753 Euro auf 325,80 Euro monatlich gekürzt wird. „Das ist existenzgefährdend“, hält Mitter fest.

Der Spielraum wurde insgesamt enger. Erreicht wurden zumindest mehr Mittel für die Qualifizierung von Kurzzeitarbeitslosen über 50 Jahren und die Verlängerung und Ausweitung des Fachkräftestipendiums. Mit Letzterem werden Ausbildungen in Mangelberufen wie im Gesundheits- und Pflege- sowie im technischen Bereich gefördert. „Dabei ging es um 160 Millionen Euro“, betont Mitter. Im Dezember 2018 wurde das AMS-Budget in Höhe von 1,25 Milliarden Euro beschlossen. Die Kürzungen betrugen „nur“ 155 Millionen Euro statt wie geplant 350 Millionen Euro. Für Mitter war das ein „gerade noch tragbarer Kompromiss.“ Er erwartet, dass angesichts wenig rosiger Konjunkturprognosen schon bald wieder mehr Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik gebraucht werden.

(C) Michael Mazohl
Auf der 10. Jobmeile der Caritas im „carla“ Mittersteig gab es Job- und Beratungsangebote für langzeitarbeitslose Menschen. Der 62-jährige Werner Liebig (links im Bild) erzählte, wie er in der Hotellerie neu durchstartete.

Von der gescheiterten türkis-blauen Regierung wurde gerne so getan, als hätte ihre Arbeitsmarktpolitik erste Erfolge gezeitigt. Tatsächlich sank die Arbeitslosenquote 2018 um 0,8 Prozent auf 7,7 Prozent. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit ist aber weniger ein Verdienst der Politik, sondern ein Ergebnis der guten Konjunktur. Doch diese lässt nach. Auch Wirtschaftsforscher Christoph Badelt erwartet für Anfang 2020 einen leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit. 2018 waren im Schnitt 380.000 Menschen ohne Job oder in Schulung – für Badelt zu viel. „Das hohe Niveau an Arbeitslosigkeit ist wirtschaftlich und sozial inakzeptabel“, sagte der WIFO-Chef Ende April 2019 in Wien. Die Arbeitslosigkeit habe sich nach der Wirtschafts- und Finanzkrise bei vielen Menschen verfestigt. „Wir brauchen eine Arbeitsmarktpolitik, die verhindert, dass ältere Menschen aus dem Arbeitsmarkt hinausfallen, und ermöglicht, dass Langzeitarbeitslose zurückfinden“, so Badelt. Aus- und Weiterbildung sei entscheidend und daher werde der Bedarf an Mitteln für die aktive Arbeitsmarktpolitik in den nächsten Jahren wieder steigen.

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Über den/die Autor:in

Sandra Knopp und Udo Seelhofer

Sandra Knopp ist freie Journalistin für verschiedene Radio und Printmedien, und hat die Themen Arbeitsmarkt, Soziales und Gesellschaftspolitik als Schwerpunkte. Udo Seelhofer war früher Lehrer und arbeitet seit 2012 als freier Journalist. Seine Schwerpunkte sind Gesellschaft, soziale Themen und Religion. Im Team wurden sie beim Journalismuspreis „Von unten“ 2017 für ihre Arbeit&Wirtschaft Reportage „Im Schatten der Armut“ ausgezeichnet.

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