Was Europa bewegt

Illustration (C) Natalia Nowakowska
Ein guter europäischer Arbeitsmarkt, gerechte Einkommen und Chancen für Frauen, Steuergerechtigkeit für gute öffentliche Dienstleistungen, leistbares Wohnen, der Klimakrise entgegensteuern – alles, was Sie über die aktuellen Themenschwerpunkte und Herausforderungen der EU wissen sollten.
Der EU-geförderte Kinderspielplatz im Grätzel, der Anruf aus dem Urlaub nach Hause ohne Zusatzgebühren, die Produktauswahl im Supermarkt, die mit Euro ohne Währungsumrechnungsgebühr bezahlte Paella in Spanien, das Auslandssemester in Griechenland – die EU ist allgegenwärtig und aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Am 26. Mai stellt sich daher nicht die Frage, ob wir für Österreich und gegen die EU wählen, wie das eine Partei suggeriert. Es geht darum, welche EU wir wählen.

Soziales Europa: Gute Arbeit und mehr Mitbestimmung

Rund zehn Prozent der Beschäftigten in der EU sind arm trotz Arbeit.
Die Europäischen Arbeitsmärkte sind nach der Wirtschaftskrise langsam auf dem Weg der Erholung, zu diesem Befund kommt auch der Europäische Gewerkschaftsbund EGB. Das Wachstum bringt allerdings ein Ansteigen prekärer, sozial und arbeitsrechtlich schlecht oder nicht abgesicherter Jobs. Rund zehn Prozent der Beschäftigten in der EU sind arm trotz Arbeit. Vor allem digitale Plattformen fördern Arbeitsverhältnisse, die nicht durch Arbeitszeit definiert werden, sondern durch Arbeitsaufgaben. Das unterwandert den Grundgedanken von Arbeit, wonach ArbeitnehmerInnen für ihre Arbeitszeit entlohnt werden – von Mitbestimmung ist in diesem Sektor gar nicht zu reden.

Es braucht mehr Demokratie in der Arbeitswelt.
Die Rolle des sozialen Dialogs auf europäischer Ebene und der Tarifverhandlungen ist essenziell, um die Wünsche der ArbeitgeberInnen nach weiteren Deregulierungen und Flexibilisierungen in die Schranken zu weisen. Mehr Demokratie in der Arbeitswelt ist daher ein wesentliches Instrument, sowohl im privaten wie auch im öffentlichen Sektor.

Fazit: Die neue Europäische Kommission wird sich mit aller Kraft für gute, abgesicherte Arbeitsverhältnisse und starke Mitbestimmung auf dem europäischen Arbeitsmarkt einsetzen müssen. Nur mit diesem klaren Bekenntnis sind Sonntagsreden, in denen die EU-BürgerInnen in den Fokus des Interesses gerückt werden, glaubwürdig. Sichere Arbeit, faire Einkommen, gut ausgebaute Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen – so geht ein Europa der ArbeitnehmerInnen.

Arbeit für Frauen – für Selbstständigkeit, gegen Armut

Dass man im Jahr 2019 immer noch über gerechte Einkommen und Chancen für Frauen reden muss, ist beschämend genug. Muss man aber, denn: Im EU-Schnitt verdienen Frauen immer noch um 16 Prozent weniger als Männer, in Österreich sogar um 22 Prozent weniger. Zwar sind in der EU so viele Frauen wie nie berufstätig (2017: 66,4 Prozent), allerdings ist die Lage nicht in allen EU-Staaten gleich gut. Die Kommission hat erst 2018 acht Mitgliedsstaaten aufgefordert, Frauen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Erraten, Österreich ist auch dabei.

Frauen verdienen weniger als Männer
im EU-Schnitt
16 % weniger

Frauen verdienen weniger als Männer
in Österreich
22 % weniger

Niedrige Einkommen hängen den Frauen ein Leben lang nach – und nicht nur finanziell: Die Pensionen der Frauen lagen im EU-Schnitt 2017 um 35,7 Prozent unter jenen der Männer. In einigen EU-Staaten können sich bis zu zehn Prozent der älteren Frauen die nötige Gesundheitsversorgung nicht leisten.

Der EGB hat zur EU-Wahl ein Programm präsentiert, das auch Punkte zur Geschlechtergerechtigkeit enthält: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, die volle Umsetzung der sozialen Säule der EU einschließlich des Rechts auf Geschlechtergerechtigkeit, Verteidigung von Frauenrechten, mehr Anstrengungen gegen Belästigung und Gewalt gegen Frauen.

Fazit: Für Frauen mit Kindern ist es essenziell, dass jedes Kind in der EU einen ganztägigen Kinderbetreuungsplatz hat, auch nach Volksschuleintritt. Nur so können Frauen weiterhin ihrer Arbeit nachgehen, haben eigene Einkommen und landen nicht in der Armutsfalle. Es darf nicht sein, dass Frauen wegen mangelnder Kinderbetreuungseinrichtungen ihre Jobs aufgeben müssen. Und weil nicht alle Frauen Mütter sind: Frauenarbeit muss endlich gerecht entlohnt werden, mehr Frauen müssen in Führungspositionen, informelle Arbeit muss im Rahmen echter Arbeitsverhältnisse formalisiert werden. So geht ein Europa der Frauen.

Steuergerechtigkeit für gute öffentliche Dienstleistungen

Wohnen, Bildung, Verkehr, Gesundheit, Wasserversorgung sind Grundbedürfnisse und dürfen nicht noch mehr zu lukrativen Geschäftsfeldern werden.
Die vergangenen Jahrzehnte haben in vielen europäischen Städten Privatisierungen öffentlicher Leistungen – Wasserversorgung, Müllentsorgung, Kanalisation – gebracht. Viele Kommunen nehmen das wieder zurück, denn private Anbieter haben Gewinne im Auge, nicht die Versorgung der Menschen. Die Instandhaltung der Infrastruktur hat für Private wenig Priorität, die Versorgungsqualität leidet. Wohnen, Bildung, Verkehr, Gesundheit, Wasserversorgung sind aber Grundbedürfnisse und dürfen nicht noch mehr zu lukrativen Geschäftsfeldern werden. Außerdem: Öffentliche Dienstleister sind wichtige Arbeitgeber für Hunderttausende Menschen in der EU.

Die EU insgesamt und ihre Mitgliedsstaaten haben daher in zweierlei Hinsicht Verantwortung: Sie müssen die Grundversorgung der Menschen so zur Verfügung stellen, dass alle gleichen Zugang haben. Und sie sind wichtige Arbeitgeber, die auch arbeitsmarktpolitisch gesehen eine wichtige Funktion haben. Mit ausreichenden Steuereinnahmen ließen sich öffentliche Dienstleistungen und gute Infrastruktur auch problemlos finanzieren.

Fazit: Große Konzerne und Unternehmen in der EU müssen genauso Steuern zahlen wie alle Bürgerinnen und Bürger, sie dürfen ihre Gewinne nicht länger durch Schlupflöcher aus der EU schmuggeln oder in Steueroasen verstecken. Sie profitieren von einer gut ausgebauten Infrastruktur, von gut ausgebildeten ArbeitnehmerInnen, von sozialem Frieden – dazu müssen sie endlich faire Beiträge leisten. Einheitliche Mindeststeuersätze EU-weit können dazu beitragen, den Steuerwettbewerb nach unten zu beenden. So geht ein Europa der Gerechtigkeit.

Wohnraum für Wohnen, nicht für Gewinne

Viele Menschen in der EU geben an die 40 Prozent ihrer Einkommen für Wohnen aus.
Wohnen ist ein Grundbedürfnis und Menschenrecht, das ist auch so in der Europäischen Grundrechte-Charta verankert. Während Einkommen aber stagnieren, wird Wohnen immer teurer: Viele Menschen in der EU geben an die 40 Prozent ihrer Einkommen für Wohnen aus. Immobilien werden immer öfter als Spekulationsobjekte genutzt. Die EU muss beim Thema Wohnen starke Schwerpunkte setzen: Wohnraum muss fürs Wohnen zur Verfügung stehen und nicht fürs Geschäftemachen und Spekulieren.

Über 80 Millionen EU-BürgerInnen können sich das Wohnen nicht mehr leisten und sind von Zwangsräumungen bedroht.
In immer mehr Großstädten Europas wird Wohnen allerdings für viele Menschen zum Problem: Bereits die Hälfte des Wohnraums in Venedig (wir reden nicht von Hotels und Pensionen) steht nicht den BürgerInnen zur Verfügung, sondern den TouristInnen. In Irland, Frankreich und anderen Städten wurden und werden Zigtausende Menschen delogiert. Die Wohnungskrise in der EU ist bittere Realität: Wohnen wird als Ware und Anlageobjekt gesehen, nicht als Grundbedürfnis. Seit 10 Jahren sinken die Investitionen in leistbares Wohnen EU-weit, vor allem auf lokaler Ebene fehlen Investitionen. Über 80 Millionen EU-BürgerInnen können sich das Wohnen nicht mehr leisten und sind von Zwangsräumungen bedroht. Ein europäisches Bekenntnis zur Wohnungsgemeinnützigkeit tut not.

Fazit: Wir brauchen eine EU, die das Grundrecht auf Wohnen tatsächlich verwirklicht. Viele Menschen in Europa haben daher gemeinsam eine Europäische Bürgerinitiative dazu gestartet. (Hier gibt es Informationen und den Link zur Unterschrift.) So geht gutes Leben für alle in Europa.

Die Klimakrise mit Rückgrat angehen

Immer mehr Staaten rufen den Klimanotstand aus. Jeden Freitag gehen weltweit Jugendliche auf die Straße, um für einen intakten Planeten einzutreten. Die EU könnte hier Vorreiterin sein und sich im Kampf Umwelt gegen Industrie klar auf die Seite einer intakten Umwelt stellen. Ansatzpunkte gibt es auf mehreren Ebenen: Der öffentliche Verkehr ist ein wesentlicher Schlüssel. Die EU muss die Menschen beim Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel massiv unterstützen, beim Preis und auch beim Angebot. Der Ausbau der europäischen Zugverbindungen ist nicht nur klimaschonend, sondern schafft auch Arbeitsplätze.

Landwirtschaftsförderungen

Agrarindustrie
erhaltene EU-Förderungen
80 %

Kleine, lokal tätige Betriebe
erhaltene EU-Förderungen
20 %

Derzeit gehen rund 80 Prozent der Landwirtschaftsförderung an die Agrarindustrie, nur 20 Prozent an kleine, lokal tätige Betriebe. Das ist ein klares Missverhältnis zulasten der Umwelt. Förderungen der EU und der Mitgliedsstaaten können gezielt an klimaschonende Kriterien geknüpft werden. CO2-Steuer, Reduktion von Plastikmüll, Verbot bestimmter Pestizide, Forcierung von thermischer Sanierung – das ist alles schon erfunden, es muss nur getan werden.

Fazit: Der Zustand des Weltklimas lässt keinen zeitlichen Spielraum mehr für Verhandlungen und Tauschgeschäfte mit Konzernen. Die Palette an Möglichkeiten, die Klimakrise in den Griff zu bekommen, ist breit. Es braucht eine einzige Sache, um sich ihrer zu bedienen: politischen Willen, der auch dann standhält, wenn die Lobbyisten auf den Türmatten der neuen Kommission steht. So geht ein Europa der Zukunft.

Über den/die Autor:in

Nani Kauer

Nani Kauer, in Brüssel aufgewachsene Wienerin, hat integrierte Kommunikation studiert und ist seit 1996 in der Kommunikationswelt tätig. Sie ist Mediensprecherin von AK-Präsidentin Renate Anderl.

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