Meinungsfreiheit ja, Narrenfreiheit nein

Fotos (C) Michael Mazohl, Konzept & Produktion: Thomas Jarmer
Soziale Medien sind aus Wahlkämpfen nicht mehr wegzudenken. Ihr Prinzip: Was emotionalisiert, verbreitet sich gut. Das führt zur Polarisierung.
Dass Leute unterschiedlicher Meinung sind, ist natürlich. Diese auch mitzuteilen, ist ebenfalls legitim, immerhin gibt es das in der Verfassung etablierte Grundrecht der Meinungsfreiheit. In Zeiten von sozialen Medien aber ist umso deutlicher geworden, dass nicht alle ihre Meinung kons­truktiv äußern. Vielmehr machen sich auch destruktive Meldungen breit, im schlimmsten Fall sogar Beschimpfungen, wie sich auch im AK-Wahlkampf zeigte.

Eigentlich wurden soziale Medien dafür konzipiert, einen geeigneten Raum für die Selbstpräsentation und den Austausch zu schaffen.

Eigentlich wurden soziale Medien dafür konzipiert, einen geeigneten Raum für die Selbstpräsentation und den Austausch zu schaffen. Aber wieso kommen verbale Angriffe und Beleidigungen dort so oft vor? Ein großer Faktor dafür ist, dass die Person, die man beschimpft, weit entfernt ist. Man muss seine sicheren vier Wände nicht verlassen. Man muss niemandem gegenübertreten. Niemandem in die Augen schauen. Das World Wide Web ist wie eine Kommunikationsspielwiese, und nur ein flimmernder Bildschirm oder ein leuchtendes Display ist stummer Zeuge.

Die ideale Werbeplattform

Gerade weil sich so viele Menschen in sozialen Medien tummeln, sind sie die ideale Werbeplattform. Egal ob Unternehmen, Vereine, politische Parteien oder InfluencerInnen – alle nutzen sie gerne. Grund dafür ist der permanente und ungefilterte Zugang zu KundInnen, potenziellen WählerInnen, Interessierten, kurzum: der gewünschten Zielgruppe. Und noch mehr: Man kann diese, zumindest theoretisch, rund um die Uhr erreichen; und das ohne zwischengeschaltete Medien, die Inhalte vorab selektieren.

Reichweite nur durch Bezahlung

Niemand kann es sich leisten, nicht auf den unterschiedlichen Plattformen aktiv zu sein. Aber nicht jeder kann es sich leisten, mit seinem Facebook-, Twitter- oder Instagram-Auftritt auch viele Personen zu erreichen. Denn die organische Reichweite, also jene Personenanzahl, zu der man vordringt, ohne dafür Geld in die Hand nehmen zu müssen, sinkt stetig. Stattdessen wird die bezahlte Reichweite immer bedeutender. Diesbezüglich hat sich die Nutzung der sozialen Medien in den letzten Jahren radikal geändert. Anfänglich waren soziale Medien ein Ort, an dem auch nicht ganz so finanzstarke Institutionen, Vereine sowie NGOs eine geeignete Werbeplattform vorfanden. Seit geraumer Zeit ist die Schaltung von Anzeigen unabdingbar, um auf seine Seite oder Postings aufmerksam zu machen.

Unterm Strich bedeutet das: Wer mehr Geld hat, ist präsenter und kann die öffentliche Meinung besser beeinflussen.

Unterm Strich bedeutet das: Wer mehr Geld hat, ist präsenter und kann die öffentliche Meinung besser beeinflussen. Man kann sich also vorstellen, welchen Unterschied es macht, ob man nun das nötige Budget für Werbeschaltungen hat oder nicht. Kaum verwunderlich, dass wirtschaftsnahe, finanzstarke Organisationen, die UnternehmerInneninteressen in den Fokus rücken möchten, auf allen Kanälen präsent sind. Diejenigen hingegen, die sich für die Schwächsten in der Gesellschaft einsetzen, können aufgrund geringerer Budgets ihre Message nicht flächendeckend platzieren. Hinzu kommt die Regierung, der eine Institution wie die Arbeiterkammer, die für die Interessen der ArbeitnehmerInnen eintritt, ein Dorn im Auge ist. Seit ihrem Amtsantritt schlug sie sich ganz deutlich auf die Seite der Betriebe, während die AK durch die Abschaffung der gesetzlichen Mitgliedschaft unter dem Vorwand eines angeblich nicht mehr zeitgemäßen Systems geschwächt werden sollte.

Wahlkampf 4.0

Auch bei der Wahlwerbung ist die Präsenz auf sozialen Medien unabdingbar. Denn: Ohne das Internet ist heute kaum noch ein Wahlkampf möglich. Die Hilfsmittel und Tools, die dafür zur Verfügung stehen, sind enorm. Eine beliebte Methode sind sogenannte Dark Posts. Darunter versteht man bezahlte Postings, die nicht auf der eigentlichen Facebook-Seite für alle sichtbar und zugänglich sind, sondern die nur bestimmten Personengruppen angezeigt werden. Diese Zielgruppen können bis ins Kleinste definiert werden, um maßgeschneiderte Botschaften aussenden zu können. Man spricht dabei von Mikro-Targeting. Alles, was man sich dabei fragen muss: Was bewegt diese Zielgruppe?

Setzt sich jemand beispielsweise für ein allgemeines Rauchverbot ein, kann er diese Botschaft nur an Nichtraucher ausspielen und bei dieser Personengruppe Sympathiepunkte sammeln. Woher Facebook weiß, wer raucht und wer nicht? Einblicke in diese Thematik sind schwierig, jedoch hat eine Studie der University of Cambridge die Trefferquote von Facebook näher unter die Lupe genommen und dabei festgestellt: Wenn es um die politische Einstellung geht, liegt Facebook zu 85 Prozent mit seiner Einschätzung richtig, beim Rauchverhalten zu 73 Prozent.

Viele Themen, die auf der politischen Agenda stehen, werden in Facebook-, Twitter- oder Instagram-Anzeigen jedoch gar nicht zur Sprache gebracht. Und das hat einen Grund: Sie emotionalisieren nicht.

Viele Themen, die auf der politischen Agenda stehen, werden in Facebook-, Twitter- oder Instagram-Anzeigen jedoch gar nicht zur Sprache gebracht. Und das hat einen Grund: Sie emotionalisieren nicht. Alles, was Menschen nicht nahegeht, wird sie tendenziell weniger dazu verleiten, einen Kommentar zu hinterlassen, mit einem Like zu reagieren oder ein Posting zu teilen. Ein altbekanntes Beispiel ist die Thematik der Migration. Kaum ein anderes Thema lässt die Wogen so hochgehen wie dieses. Man mag kaum glauben, wie aktivierend das Gefühl der Wut ist. Themen erzielen eine unglaubliche Reichweite, wenn sie die Bevölkerung polarisieren. Im Endeffekt geht es in den sozia­len Medien vor allem um Likes und Klicks, und die summieren sich besonders bei emotionalen Themen.

Emotionalisierende Themen

So beispielsweise das Thema Langzeitarbeitslosigkeit bzw. Sozialleistungen. Die finanzielle Absicherung in einer Notsitua­tion durch den Sozialstaat ist an sich noch kein Thema, das zu hitzigen Diskussionen verleitet. Stellt man jedoch eine Person an den Pranger, die dieses System ausnützt, sieht das schon ganz anders aus – Einzelfall hin oder her. Dann ist ein polemischer oder provokanter Kommentar schnell geschrieben. Dass jedoch vorwiegend Personen unterstützt werden, die sich die Arbeitslosigkeit keineswegs ausgesucht haben, tritt in den Hintergrund. Auch wird ihr täglicher Kampf, den Lebensalltag zu bestreiten, aus dem Bewusstsein verdrängt sowie die Scham, die mit der gesellschaftlichen Stigmatisierung einhergeht. Das Ziel, eine Diskussion in Gang zu setzen, ist erreicht und stachelt immer mehr Menschen dazu an, ihre eigene Meinung beizusteuern – sowohl pro als auch kontra Notstandshilfe.

Polarisierung spaltet

Im Endeffekt geht es lediglich darum, bei möglichst vielen Personen im Newsfeed zu erscheinen. Und das wird vor allem durch die Zahl der Interaktionen (Likes, Kommentare, Klicks) erreicht. Der Facebook-Algorithmus begünstigt Reaktionen wie „love“ oder „wütend“. Und wo werden diese vor allem gegeben? Natürlich bei Postings, die mit den Emotionen der Menschen spielen und ihre Meinungen polarisieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie dafür oder dagegen sind: Hauptsache, sie reagieren. Und genau diese Polarisierung spaltet die Gesellschaft weiter.

Es spielt keine Rolle, ob sie dafür oder dagegen sind: Hauptsache, sie reagieren. Und genau diese Polarisierung spaltet die Gesellschaft weiter.

Es lässt sich nicht leugnen: Durch Plattformen wie Facebook und Twitter hat sich die Art unserer Kommunikation verändert. Es ist leichter geworden, seine persönliche Meinung kundzutun, und man erreicht damit einen größeren Kreis an Personen. Generell ist das ja noch nichts Schlechtes. Nimmt man jedoch den Faktor Anonymität hinzu, sinkt oftmals auch die Hemmschwelle, sodass Kommentare unter die Gürtellinie gehen. Und genau an dieser Stelle braucht es stärkere Kontrollen sowie auch Konsequenzen, wenn Grenzen überschritten werden. Das wird vom „Netzwerk Hate Crime Kontern“ forciert – sowohl online als auch offline wollen die MitarbeiterInnen Hassverbrechen sichtbar machen sowie ihnen effektiv und präventiv entgegentreten.

Ziel sollte es sein, die Diskussionen im Netz wieder auf ein sachliches Niveau zurückzuführen.

Ziel sollte es sein, die Diskussionen im Netz wieder auf ein sachliches Niveau zurückzuführen. Themen, die unterschiedliche Reaktionen hervorrufen, gab es immer und wird es auch immer geben. Die Frage ist nur, wie man sie thematisiert und wie man damit umgeht, ob als UserIn oder gesellschaftliche Akteurin bzw. gesellschaftlicher Akteur. So wie es in der realen Welt gesellschaftliche Regeln für ein respektvolles Miteinander gibt, braucht auch die virtuelle Welt ein besseres Verständnis für einen guten Umgangston. Um Fehlverhalten zu verhindern, gibt es auf vielen Seiten bereits eine Netiquette. Medienkompetenz soll zudem zu einem besseren zwischenmenschlichen Umgang im Internet beitragen. Im Endeffekt muss sich jedoch jeder an der eigenen Nase nehmen: Meinungsfreiheit ja, Narrenfreiheit nein.

ZARA – Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit:
www.hatecrimekontern.at

Von
Beatrix Mittermann
Redakteurin des ÖGB-Verlag

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 4/19.

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Über den/die Autor:in

Beatrix Ferriman

Beatrix Ferriman hat internationale Betriebswirtschaft an der WU Wien, in Thailand, Montenegro und Frankreich studiert. Sie ist Autorin, Schreibcoach sowie freie Redakteurin für diverse Magazine und Blogs.

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