Arbeit & Wirtschaft: Die neue Arbeitszeitregelung, die 12-Stunden-Tage und 60-Stunden-Wochen ermöglicht, ist seit September in Kraft. Der Handel ist jetzt schon dafür bekannt, dass er versucht, Spitzen, die durch Urlaube oder Krankenstände entstehen, nicht durch zusätzliche Arbeitskräfte, sondern durch Mehrstunden abzufedern. Wie hat sich nun der neue Arbeitszeitrahmen im Handel bisher bemerkbar gemacht?
Gerade unverschämte Arbeitgeber werden jetzt noch unverschämter.
Barbara Teiber: Wir haben schon einzelne Rückmeldungen, dass Arbeitgeber Beschäftigte damit konfrontieren, dass sie jetzt zwölf Stunden bleiben sollen. Das ist auch das, was wir befürchtet haben. Gerade unverschämte Arbeitgeber werden jetzt noch unverschämter. Sogar Teilzeitbeschäftigte, die wenige Stunden arbeiten, sind mit solchen Wünschen konfrontiert. Es ist aber noch kein Massenphänomen. Es gibt noch eine gewisse Zurückhaltung, was das Auskosten der neuen Regelungen betrifft, weil im Handel die Kollektivvertragsverhandlungen anstehen.
Wieviel Prozent der Beschäftigten im Handel wurden schon gebeten, zwölf Stunden zu arbeiten?
Bis jetzt sind es einzelne Rückmeldungen. Auffällig ist aber, dass die betroffenen Kollegen und Kolleginnen alle anonym bleiben und den Arbeitgeber auch nicht wirklich nennen wollen. Es gibt ja die vermeintliche Freiwilligkeit, aber die Kollegen und Kolleginnen haben einfach Angst, dass sie ihren Job verlieren, wenn sie sich wehren.
Inwiefern erschwert das die Arbeit der Gewerkschaft, Betroffene zu unterstützen?
Im Handel ist es jetzt schon so, dass das Thema Vereinbaren von Arbeitszeiten ein sehr relatives ist. Man wird oft sehr kurzfristig eingeteilt, es gibt eine sehr dünne Personaldecke.
Es erschwert die Situation insofern, dass wir Dinge besser aufzeigen könnten, wenn die Betroffenen nicht anonym bleiben wollen. Sonst können wir Arbeitgeber nicht damit konfrontieren. Aber da herrscht Angst. Im Handel ist es jetzt schon so, dass das Thema Vereinbaren von Arbeitszeiten ein sehr relatives ist. Man wird oft sehr kurzfristig eingeteilt, es gibt eine sehr dünne Personaldecke, wenn da wer mal krank wird, ausfällt, dann kommen die KollegInnen ganz kurzfristig zum Handkuss. Es ist also jetzt schon schwierig, Privatleben und Job zu vereinbaren.
Positiv herauszukehren ist im Handel, dass wir im Kollektivvertrag eine Maximal-Tagesarbeitszeit von zehn Stunden vereinbart haben, wenn es Gleitzeitvereinbarungen gibt. Insofern gewinnt durch das neue Arbeitszeitgesetz der Kollektivvertrag nochmal an Wichtigkeit, weil er da schützt. Das ist auch etwas, was uns durch die Demonstration Ende Juni gelungen ist, nämlich dass zumindest die Regierung das Gesetz dahingehend geändert hat, dass bestehende Betriebsvereinbarungen und Kollektivverträge, die bessere Regelungen haben, weitergelten.
Das ist auch die Rückmeldung, die es von Betriebsräten, Betriebsrätinnen gibt, dass durch den Kollektivvertrag einiges abgefedert werden kann. Sie haben bereits den Zehn-Stunden-Tag als Maximalrahmen bei Gleitzeit genannt. Was steht noch im Kollektivvertrag, was günstiger ist als die neue Arbeitszeitregelung?
Was im Handels-KV auch positiv geregelt ist, ist, dass wir verankert haben, dass alle Beschäftigten dem Kollektivvertrag und somit auch den Arbeitszeitregelungen darin unterworfen sind. Das neue Gesetz beinhaltet ja noch eine Schlechterstellung, nämlich dass ein größerer Teil der Beschäftigten, und zwar die Fach- und Führungskräfte, nicht mehr unter das Arbeitszeitgesetz fallen soll. Und genau bei der mittleren Ebene, FilialleiterInnen, Filialleiter-StellvertreterInnen, haben wir ganz viele Kollegen und Kolleginnen, die wirklich reihenweise Selbstausbeutung betreiben, wenn eben Kollegen, Kolleginnen ausfallen. Da gibt es jetzt schon immense Arbeitszeiten. Und die Befürchtung ist, dass die 60-Stunden-Woche dazu führen würde, dass es von der Lebensqualität und den gesundheitlichen Aspekten her noch schlechter würde.
Die Gewerkschaft hat bei dem Gesetzwerdungsprozess dieser neuen Arbeitszeitregelung wenig Handlungsspielraum gehabt, weil sie eigentlich gegen bisherige sozialpartnerschaftliche Usancen vom Verhandlungstisch verbannt wurde. Wo gibt es überhaupt noch Möglichkeiten gegenzusteuern?
Bei den Kollektivvertragsverhandlungen im Handel, die Ende Oktober begonnen haben, ist ganz klar, dass es nicht nur ums Geld geht, sondern auch um Verbesserungen bei der Arbeitszeitqualität für Kollegen und Kolleginnen.
Wir wollen das Thema Arbeitszeit verstärkt bei den Kollektivvertragsverhandlungen thematisieren, dazu hat es eine KV-Verhandlerkonferenz gegeben. Bei den Kollektivvertragsverhandlungen im Handel, die Ende Oktober begonnen haben, ist ganz klar, dass es nicht nur ums Geld geht, sondern auch um Verbesserungen bei der Arbeitszeitqualität für Kollegen und Kolleginnen. Konkret werden wir versuchen, die sechste Urlaubswoche für mehr Beschäftigte zu erreichen. Gerade im Handel gibt es sehr viel Fluktuation und da man eine lange Zeit bei ein- und demselben Arbeitgeber beschäftigt sein muss, um zur sechsten Urlaubswoche zu kommen, ist das im Handel fast totes Recht. Ein zweiter Punkt sind Besserstellungen für Arbeitszeiten am 24. und 31. Dezember.
Eine weitere Forderung ist eine Vier-Tage-Woche in Kombination auch mit dem Thema Bildungsfreistellungen. Im Handel ändert sich viel, lebenslanges Lernen, Umqualifizierung, Höherqualifizierung sind wichtig. Da soll es auch darum gehen, dass der Arbeitgeber für Aus- und Weiterbildung Zeit zur Verfügung stellt. Und das vierte Thema sind altersgerechte Arbeitszeiten. Wir haben im Handel auch viele Kollegen, Kolleginnen, die in höherem Alter in der Branche begonnen haben, aber eben auch bis zur Pensionierung fit bleiben wollen und müssen. Daher wollen wir in den Verhandlungen mit den Arbeitgebern das altersgerechte Arbeiten thematisieren. Das ist auch insofern wichtig, als die Bundesregierung mit der Verkürzung der Altersteilzeit eine weitere Verschlechterung eingeführt hat.
Welche Rahmenbedingungen stellt sich die Gewerkschaft für die Vier-Tage-Woche vor?
Im Wesentlichen geht es darum, dass, wenn man mehr Arbeit geleistet hat, zumindest zum Teil selbst bestimmen kann, wann man Zeitausgleich konsumiert. Und der Wunsch der Beschäftigten ist eben, Zeitausgleich in Blöcken zu konsumieren, daher auch der große Zuspruch zur Vier-Tage-Woche. Uns ist schon bewusst, dass das nicht immer der Freitag, Samstag oder Montag sein wird, aber zumindest aufgebautes Zeitguthaben ganztägig konsumieren zu können, das wäre wichtig, weil man im Handel sowieso schon oft eine schwierige Lage der Arbeitszeit hat.
Gibt es ein Szenario, wie man die neue Arbeitszeitregelung insgesamt wieder kippen könnte?
Wir starten als ÖGB eine Initiative für ein modernes, innovatives Arbeitsrecht, wo am Ende ein Gegenentwurf zu dem herauskommen soll, was jetzt beschlossen wurde.
Wir leben in einer parlamentarischen Demokratie, Gott sei Dank, da entscheiden politische Mehrheiten, wie ein Arbeitszeitgesetz aussieht. Da müssen wir, wie es aktuell ausschaut, auch durchaus auf andere Mehrheiten hoffen beziehungsweise vieleicht auch auf die Einsicht der aktuellen Regierung, die aus unserer Sicht ganz sicher übers Ziel hinausgeschossen hat. Wir starten als ÖGB eine Initiative für ein modernes, innovatives Arbeitsrecht, wo am Ende ein Gegenentwurf zu dem herauskommen soll, was jetzt beschlossen wurde. Was uns hilft, ist, wenn uns möglichst viele Beschäftigte stärken, auch mit ihrer Mitgliedschaft, damit unsere Stimme lauter wird und mehr gehört wird.
Was braucht es in der derzeitigen Situation?
Das Wichtigste ist, sich zu solidarisieren. Das fängt in der Filiale an. Nur gemeinsam ist man stark und kann sich wehren. Jeder Einzelne tut sich wirklich schwer, darum haben wir auch kritisiert, dass die Freiwilligkeit beim 12-Stunden-Tag in Wahrheit lächerlich ist. Man muss sich zusammenschließen, gemeinsam kann man etwas bewegen und am stärksten ist man gemeinsam in der Gewerkschaft. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es in einigen Branchen zu Kampfmaßnahmen kommt. Aber man braucht immer die konkret betroffenen Menschen dazu, die mitmachen.