Der 12-Stunden-Tag wirkt angesichts der alltäglichen akrobatischen Leistungen, die nötig sind, um Arbeitswelt und Privatleben in Einklang zu bringen, wie Öl ins Feuer zu gießen.
Ingrid Moritz, Abteilung Frauen – Familie der AK Wien
Ingrid Moritz und Gerlinde Hauer kennen als Expertinnen der AK Wien die Problematik der Vereinbarkeit von Arbeit und Familie, die sich nun noch mehr zuspitzt. „Der 12-Stunden-Tag wird zur Zerreißprobe für berufstätige Eltern“, so Hauer. Das liegt laut Ingrid Moritz, Leiterin der Abteilung Frauen – Familie der AK Wien, auch daran, dass die meisten Kindergärten um 17 Uhr schließen: „Lediglich zehn Prozent der Kindergärten haben bis 18 Uhr oder länger offen.“ Die Schwierigkeit, geeignete Betreuungseinrichtungen zu finden, verbessert sich auch mit zunehmendem Kindesalter nicht. „Denn lediglich für 36 Prozent der Kinder im Volksschulalter gibt es eine schulische Tagesbetreuung bzw. eine außerschulische Betreuungseinrichtung“, berichtet Gerlinde Hauer. Hinzu kommt die Tatsache, dass „700.000 Kinder ihre Eltern beim Lernen brauchen“, resümiert die AK-Expertin. Schon der Philosoph und Pädagoge Jean-Jacques Rousseau wusste: „Kindererziehung ist ein Beruf, wo man Zeit zu verlieren verstehen muss, um Zeit zu gewinnen.“
Addiert man noch die täglichen Aufgaben des Haushalts, multipliziert sich der Koordinationsstress. „Der 12-Stunden-Tag wirkt angesichts der alltäglichen akrobatischen Leistungen, die nötig sind, um Arbeitswelt und Privatleben in Einklang zu bringen, wie Öl ins Feuer zu gießen“, fasst Ingrid Moritz die Situation treffend zusammen.
Auswirkungen des 12-Stunden-Tages auf berufstätige Mütter
Gerlinde Hauer weist darauf hin, dass die Auswirkungen vor allem für berufstätige Mütter besonders gravierend sind: „Die Ausweitung der täglichen Arbeitszeit auf 12 Stunden und auf bis zu 60 Stunden pro Woche schafft Anreize zu einer noch stärkeren traditionellen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. Denn wenn es schwierig wird, Beruf und Familie partnerschaftlich zu teilen, so wird die Überstundenleistung bei voller Erwerbsfähigkeit bei Vätern steigen, während Mütter sich verstärkt auf die Familienaufgaben und aufs Zuverdienen konzentrieren.“
Die Ausweitung der täglichen Arbeitszeit auf 12 Stunden und auf bis zu 60 Stunden pro Woche schafft Anreize zu einer noch stärkeren traditionellen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern.
Gerlinde Hauer, Abteilung Frauen – Familie der AK Wien
Hauer stützt sich dabei auf eine aktuelle Studie von FORBA, derzufolge „höhere Arbeitszeiten von Männern die Möglichkeit von Frauen einschränken, in höherem Ausmaß erwerbstätig zu sein. So erhöht jede zusätzliche Wochenarbeitsstunde des Mannes die Chance auf Ungleichverteilung in der Partnerschaft um 13 Prozent.“ Das Resultat ist in vielen dieser Fälle, dass Frauen auf Teilzeit-Positionen umsteigen, um die Kinderbetreuung mit der Arbeit vereinbaren zu können.
Auswirkungen des 12-Stunden-Tages auf Familien
Sybille Pirklbauer, Referentin für soziale und wirtschaftliche Aspekte von Gendergerechtigkeit und Familienförderung in der Abteilung Frauen – Familie der AK Wien, merkt an, dass der 12-Stunden-Tag „zu einer Auf-Teilung der Familie führt, sodass die Kinder – zumindest unter der Woche – nur mehr entweder Vater oder Mutter sehen.“ Ihr zufolge gibt das neue Arbeitszeitgesetz dem Wort „Eltern-Teil“ dadurch eine ganz neue Bedeutung. Für qualitative Stunden zusammen und gemeinsame Aktivitäten bleibt da definitiv wenig Zeit – vor allem nicht in der vollständigen Konstellation Vater-Mutter-Kind.
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12-Stunden-Tag: eine Zerreißprobe für Eltern Kinderbetreuung und 12-Stunden-Tag – eine Kontroverse