Was hat sich durch das neue Arbeitszeitgesetz verändert?
Aufgrund der zahlreichen Veränderungen bietet es sich an, zunächst darauf einzugehen, was gleich geblieben ist: die Normalarbeitszeit. Diese beträgt auch nach dem neuen Arbeitszeitgesetz weiterhin 8 Stunden. Die wohl größte Änderung liegt darin, dass die Höchstarbeitszeit ausgedehnt wurde: Statt 10 Stunden täglich bzw. 50 Stunden wöchentlich sind nun 12 Stunden täglich bzw. 60 Stunden wöchentlich möglich. Zwar wird die Freiwilligkeit der 11. und 12. Arbeitsstunde pro Tag immer wieder betont, doch gibt es keinen Kündigungsschutz beim Ablehnen dieser Überstunden. Das kann ArbeitnehmerInnen in die ungünstige Lage bringen, sie aufgrund des Drucks dennoch zu leisten. Für manche Beschäftigte könnte eine 4-Tage-Woche ein Anreiz sein, an diesen Tagen länger zu arbeiten, doch ohne Rechtsanspruch darauf sind sie weiter vom Einverständnis der Arbeitgeberin bzw. des Arbeitgebers abhängig.
Zudem ist die Möglichkeit, 12 Stunden pro Tagz zu arbeiten, von der Ausnahme zur Regel geworden. War es früher nur mit Zustimmung des Betriebsrats oder in Betrieben ohne Betriebsrat mit Zustimmung der Arbeitsmedizinerin bzw. des Arbeitsmediziners möglich, können die Überstunden seit 1. September jederzeit angeordnet werden. Die einzige Begrenzung wird von der EU vorgegeben, die vorsieht, dass im Schnitt über 17 Wochen maximal 48 Stunden gearbeitet werden dürfen.
Wer besonders stark vom 12-Stunden-Tag betroffen ist
Fakt ist: Der 12-Stunden-Tag trifft alle Beschäftigten. Dennoch gibt es Personengruppen, bei denen längere Arbeitszeiten besonders schwer ins Gewicht fallen:
Berufstätige Eltern
Wenn es nicht nur darum geht, ob man genügend Freizeit und Erholung bekommt, sondern das Wohl von Kindern auf dem Spiel steht, führt das Jonglieren von Beruf und Familie auf lange Sicht zu Stress und Hektik. Vor allem wenn das Angebot an geeigneten Betreuungseinrichtungen zu wünschen übrig lässt.
PendlerInnen
12 Stunden zu arbeiten, das ist viel. Aber was passiert, wenn dann auch noch der Anfahrtsweg zur Arbeit eine Stunde beträgt? Und das morgens und abends. Dann werden aus 12 Stunden plötzlich 14. Eine unausgewogene Work-Life-Balance und auch erhöhtes Unfallrisiko sind die Folgen.
Beschäftigte im Tourismus
Kaum eine Branche verbucht so viele Überstunden wie der Tourismus. Dazu kommen niedriges Einkommen, hoher Druck und schlecht planbare Arbeitszeiten. Das lässt sich kaum mit dem Privatleben vereinbaren, was die Branche immer unattraktiver macht.
Beschäftigte mit Gleitzeitvereinbarung
Besonders betroffen sind auch jene ArbeitnehmerInnen mit Gleitzeitvereinbarung. Dort waren bisher 10 Stunden Arbeit pro Tag ohne Zuschlag möglich. Diese Zahl hat sich nun auf 12 Stunden pro Tag ohne Zuschlag erhöht, was so viel bedeutet wie: Mit Gleitzeitvereinbarung gehen die Zuschläge der 11. und 12. Arbeitsstunde verloren. Für Unternehmen ein willkommenen Schlupfloch: Immer mehr Betriebe wollen nun Gleitzeitvereinbarungen einführen, um auf Kosten der ArbeitnehmerInnen Überstundenzuschläge zu sparen. Für betroffene ArbeitnehmerInnen empfiehlt sich, solche Vereinbarungen vor dem Unterschreiben auf jeden Fall vom Betriebsrat oder der Arbeiterkammer gegenchecken zu lassen.
„In vielen Branchen gab es den 12-Stunden-Tag doch schon vorher!“ – Aber zu anderen Bedingungen
Von den BefürworterInnen des neuen Arbeitszeitgesetzes wird oft das Argument gebracht, dass der 12-Stunden-Tag ohnehin schon in vielen Branchen lange gelebter Alltag war. Canan Aytekin, Leiterin der Fachbereiche der Gewerkschaft vida, wird oft mit dem Ausspruch konfrontiert: „Wieso regt ihr euch auf? Bei der Eisenbahn gibt es den 12-Stunden-Tag zur Aufrechterhaltung des Verkehrs eh schon lange!“ Das stimmt zwar, man darf jedoch nicht auf das große ABER vergessen: „Ja, bei der Eisenbahn gab es den 12-Stunden-Tag bereits vor dem neuen Arbeitszeitgesetz. Aber dort haben wir uns auf Augenhöhe mit der Arbeiterseite ausgemacht, wann das zulässig ist und zu welchen Bedingungen“, so Aytekin. Sie nimmt damit auf die zusätzlich ausverhandelten Zeitausgleichsstunden Bezug, die das Arbeiten in der Nacht für die Beschäftigten ausgleichen. In diesem Fall wurden sowohl die Interessen der Arbeitgeberseite als auch jene der ArbeitnehmerInnen übereinkommend berücksichtigt. Also genau das, was beim einseitig beschlossenen „Arbeitszeitgesetz neu“ nicht passiert ist.
Der nächste Schritt? Ausgleich in den Kollektivvertragsverhandlungen
Da die Sozialpartner beim raschen Durchpeitschen des Gesetzes im Nationalrat nicht eingebunden waren, konnten die Interessen der ArbeitnehmerInnen nicht vertreten werden. Das Ergebnis? „Das neue Arbeitszeitrecht bringt vor allem Vorteile für Arbeitgeber“, so Peter Schleinbach, Bundessekretär für Branchen- und Kollektivvertragspolitik der Gewerkschaft PRO-GE. Das Erreichen eines Interessensausgleichs für ArbeitnehmerInnen muss daher nun branchen- und berufsgruppenweise im Rahmen der Kollektivvertragsverhandlungen erfolgen.
Wir legen den Preis für das Arbeitszeitgesetz gemeinsam fest.
Wolfgang Katzian, ÖGB-Präsident
Am 18. September 2018 fand daher zum ersten Mal eine österreichweite KV-VerhandlerInnen-Konferenz statt, bei der unter dem Motto „Miteinander weiterkämpfen“ Ziele für die bevorstehenden Kollektivvertragsverhandlungen festgelegt wurden. Wolfgang Katzian betont: „Wir legen den Preis für das Arbeitszeitgesetz gemeinsam fest.“