1923–1973: 100 Jahre Arbeit&Wirtschaft

Inhalt

  1. Seite 1 - 1923: Über Gründung, Zensur und Wiedergründung
  2. Seite 2 - 1923-1934: Von „roaring twenties“ nichts zu spüren
  3. Seite 3 - 1945-1953: Zuversicht trotz aller Not und Bitternis
  4. Seite 4 - 1954-1963: Das „Wirtschaftswunder“ Österreich
  5. Seite 5 - 1964-1973: Eine neue Zeit beginnt
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Arbeit&Wirtschaft erschien erstmals am 1. Jänner 1923. Wie die Herausgeber Anton Huebner und Franz Domes sowie die Redaktion im Geleit zur ersten Ausgabe schrieben, war das Ziel der Arbeit&Wirtschaft: "Die Machtposition der Arbeit in der Wirtschaft und Gesellschaft darstellen". Ein Dokument Zeitgeschichte der Arbeiter:innenbewegung in Österreich.

1923-1934: Von „roaring twenties“ nichts zu spüren

Nach dem großen Sterben des Ersten Weltkriegs kam der Boom. Die Nachkriegsinflation, die erst ab 1922 in eine Hyperinflation überging, beeinflusste die Binnenkonjunktur positiv und war ein erheblicher Wettbewerbsvorteil für den Außenhandel. Allerdings verringerte die positive Wirtschaftsentwicklung auch notwendige Anpassungsschritte. Die Internationale Wirtschaftsentwicklung schlug in den ersten Nachkriegsjahren kaum auf Österreich durch.

Als die Geldentwertung zusehends außer Kontrolle geriet, entschied sich die konservative Bundesregierung unter Bundeskanzler Johann Schober und in ihrem Gefolge jene unter Ignaz Seipel für eine Sanierung durch Auslandskredite. Weil die Geldgeber ausgabenseitige Sanierungsauflagen zur Bedingung machten, konnte die Bundesregierung jene Austeritätspolitik, die sie ohnehin hatte betreiben wollen, als von außen aufoktroyiert darstellen – mitsamt ihren negativen sozialen Konsequenzen, die wesentlich zur gesellschaftlichen Polarisierung der folgenden Jahre beitrug.

Im Augenblick spricht man von einer
Krise der Demokratie – zahlreiche
Erscheinungen scheinen dieses
Wort zu rechtfertigen.

Karl Renner, Arbeit&Wirtschaft, 21/1926

Im Zuge der „Stabilisierungskrise“, also der strikten Deflationspolitik, die Wachstumsimpulsen weitgehend den Boden entzog, wurden auch die Probleme überdeutlich, die der Strukturanpassung beim Übergang von der europäischen Regionalmacht zum Kleinstaat geschuldet waren. In Erinnerung geblieben sind vor allem Turbulenzen in einem überdimensionierten Finanzsektor, besonders der Crash der Bodencredit 1929 und in weiterer Folge 1931 der Zusammenbruch der Creditanstalt als größter Bank des Landes.

Harte Zeiten, wenig Arbeit

Das vergangene Jahr brachte
den Höhepunkt der Kohlekrise.

Hermann Heindl, Arbeit&Wirtschaft, 7/1931

Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten blieben jedoch nicht auf die Geldhäuser beschränkt. Die Wachstumsraten lagen während der ganzen 1920er Jahre unter dem europäischen Schnitt, Österreich war ein Niedriglohnland, die Abschottung der Binnenmärkte in den Sukzessionsstaaten der Monarchie tat ein Übriges, um ein Verharren auf niedrigem Niveau sicher zu stellen. Mit der Weltwirtschaftskrise folgten ab 1929 tiefe Einbrüche, so sank bis 1933 die Produktion in der Metallindustrie um über 60 Prozent, in der verhältnismäßig günstig davongekommenen chemischen Industrie immer noch um 20 Prozent.

So kann niemand, der eine Spur von Verstand und Gewissen hat,
ernstlich behaupten, dass eine Herabsetzung
des gesetzlichen 50-prozentigen Überstundenzuschlags
eine Entlastung der Wirtschaft
herbeizuführen geeignet wäre.

Otto Leichter, Arbeit&Wirtschaft, 10/1926

Die Arbeitslosigkeit explodierte folgedessen förmlich, was eine Abwärtsspirale in Gang setzte, so sank die Konsumgüterproduktion bis 1938 kontinuierlich, zugleich brachte die soziale Misere die kommunalen Finanzen (die für die Bedeckung der Fürsorgeleistungen verantwortlich waren) an ihre Grenzen. Das wirkte wiederum negativ auf deren Bautätigkeit zurück: Bis 1933 erfuhr das Baugewerbe ein Minus von mehr als 50 Prozent.

Der Staatsstreich 1933

Lange Schlangen drängten sich vor den Suppenküchen, als sich am 12. Mai 1932 das Parlament auflöste. Die Weltwirtschaftskrise in den 1930ern hatte jede vierte Person arbeitslos gemacht, vor allem Jugendliche waren betroffen. Durch das Einsparen der Staatsausgaben wollten die an der Macht stehenden Christlichsozialen die Krise überwinden. Der „revolutionäre Schutt“ sollte weggeräumt werden: Löhne und Sozialleistungen sollten gekürzt, die Kollektivverträge und selbst verwalteten Krankenkassen abgeschafft werden. Unterstützt wurden sie von den Heimwehren, einer bewaffneten Einheit. Diese kritisierten bereits 1931 scharf:

Wir verwerfen den westlichen
demokratischen Parlamentarismus
und den Parteienstaat!

Die Strategie von Kanzler Dollfuß war es, keine Neuwahlen stattfinden zu lassen. Eine Panne in der Nationalratssitzung am 4. März 1933 bot Dollfuß schließlich den willkommenen Anlass, Nägel mit Köpfen zu machen. Er überführte  die  Republik in eine Diktatur, wenngleich er von einer „Selbstausschaltung des Parlaments“ sprach. Denn nach einem Streit im Parlament, traten alle drei Präsidenten des Nationalrats zurück. Das Parlament war nicht mehr beschlussfähig. Quelle: Was bisher geschah | Die Ausschaltung des Parlaments 1933

Von Brotnehmern und Brotgebern

Brotbäcker in einer Bäckerei, 1925. Symbolbild für den hohen Brotpreis.
Mitarbeiter einer Bäckerei am Ofen bei der Semmelproduktion. Wien um 1925. | © picturedesk/Archiv Seemann/brandstaetter images

Redakteur   Stephan   Huppert   berichtete   am   1.2.1925, die  Regierung Seipel hätte mit der Einsetzung einer Antiteuerungskommission  nun die Inflationsbekämpfung in Angriff genommen. Und damit auch die Revision des Brotpreises. Denn die Nachwehen des Ersten Weltkriegs beschäftigten die österreichische Bevölkerung. Die neue Republik war flächen- und einwohnermäßig stark geschrumpft, sodass Agrar- und Industriegebiete nicht mehr im Staatsgebiet lagen und der Brotpreis stieg.

Doch Unternehmen machten sich eine andere Erklärung zugute. So wurde der Brotpreis auf die angeblich hohen Löhne der Bäckereiarbeiter:innen und das Nachtbackverbot zurückgeführt.

Redakteur:innen dieser Zeit

Porträt Käthe Leichter
© Institut für Historische Sozialforschung/AK Wien

Käthe Leichter (1895–1942) war Widerstandskämpferin, Sozialistin, Sozialwissenschaftlerin  und  erste  Leiterin  des  Frauenreferats  der  AK. Sie  legte  mit  ihrer  Studie  zu  Industriearbeiterinnen  den  Grundstein  für  die  Forschung  zu  weiblicher  Arbeit.  Als  Jüdin  und  aufgrund  ihres  politischen  Widerstandes  wurde  sie von den Nazis ermordet. Quelle: dasrotewien.at

Porträt von Otto NeurathOtto Neuraths (1882–1945) Erfindung der Wiener Methode der Bildstatistik ziert bis heute Bahnhöfe und Flughäfen. Sie wurde von ihm auch in der Arbeit&Wirtschaft und Arbeiter-Zeitung verwendet. Der jüdische Sozialökonom, Volks- und Arbeitsbildner und austromarxistische Intellektuelle flüchtete 1940 nach England, wo er bis zu seinem Tod lebte. Quelle: dasrotewien.at

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