Geschulte Vertrauensmänner
Das Betriebsrätegesetz wurde im Wesentlichen vom sozialdemokratischen Politiker, Theoretiker und Vordenker Otto Bauer (1881–1938) entworfen. Er legte die Rolle der Betriebsräte wesentlich größer an, als sie heute gelebt wird. „Nur in allmählicher Entwicklung, allmählicher Selbsterziehung in der Praxis der Betriebsratstätigkeit wird die Arbeiterschaft aus ihrem Schoße einen Stab geschulter Vertrauensmänner hervorbringen können, der zur vollen Ausnützung der neuen Institution befähigt sein wird. Diese Selbsterziehung der Arbeiterschaft in der und durch die Betriebsratspraxis schafft aber erst die Voraussetzungen einer sozialistischen Produktionsverfassung“, schrieb Bauer 1923 in seinem Buch „Die österreichische Revolution“. Die Sozialdemokratie wollte damals Betriebe nicht verstaatlichen, wie dies nach 1945 geschah, sondern „sozialisieren“ – ein Begriff, der heute etwas aus der Zeit gefallen scheint, beziehungsweise anders verwendet wird. Dem lag zwar auch der Wunsch der Enteignung von Eigentümerinnen von Groß- und Schwerindustrie zugrunde. Das Geld für die Entschädigung sollte aber nicht der Staat (beziehungsweise die SteuerzahlerInnen) aufbringen, sondern alle so genannten KapitalistInnen und GrundeigentümerInnen über eine progressive Vermögensabgabe.
Heute steht die konkrete Vertretung der Interessen der ArbeitnehmerInnen im Mittelpunkt der Betriebsratsarbeit.
Heute steht die konkrete Vertretung der Interessen der ArbeitnehmerInnen im Mittelpunkt der Betriebsratsarbeit. Müller würde sich aber wünschen, dass die gesamtgesellschaftliche Perspektive wieder stärker eingenommen wird.
Ein gutes Beispiel sei der Klimawandel. „Eigentlich braucht es den Kohleausstieg sofort. Dennoch setzen sich ArbeitnehmervertreterInnen in Deutschland für den Erhalt des Kohleabbaus ein, weil es um Arbeitsplätze geht.“ Hier stünden Partikularinteressen dem Kollektivinteresse entgegen. „Das zeigt sich aber nicht nur beim Kohleabbau. Wir müssen uns auch die Frage stellen: Geht unsere Art der Wirtschaft noch oder wie lange geht sie so noch? Und wenn wir immer glauben, es wird schon noch so gehen, gibt es irgendwann den Punkt, an dem es nicht mehr geht?“
Es geht nicht nur um den jährlichen Lohnabschluss, sondern auch um den Umgang mit Ressourcen.
Martin Müller, Leiter des Referats Rechts- und Kollektivvertragspolitik im ÖGB
Müller macht klar: Es gehe eben nicht nur um den jährlichen Lohnabschluss, „sondern auch um den Umgang mit Ressourcen, die Frage, wie belastbar der Mensch ist, um das Leerfischen der Meere, Nachhaltigkeit, aber auch die Auswirkungen von Waffenexporten. Ich bin der Ansicht, das sind alles gewerkschaftliche Fragen.“
Klares Ergebnis
Schisslers Erfahrungen mit BetriebsrätInnen, die mithilfe von Erlebnispädagogik lernten, sich als Team zu begreifen, sprechen hier eine klare Sprache. „Wir merken, dass die Betriebsratsmitglieder, die an einer solchen Klausur teilgenommen haben, im Anschluss vermehrt Kurse absolvieren. Sie beteiligen sich mehr an gewerkschaftlichen Maßnahmen, auch an Kampfmaßnahmen, wenn es um den Kollektivvertrag geht.“
Aber auch diese Perspektive geht Müller noch nicht weit genug. Im Idealfall sollte es nämlich nicht nur um die Vertretung der Interessen von LehrerInnen, PolizistInnen oder LokführerInnen gehen. „Es geht um die Vertretung der Gesamtinteressen der erwerbstätigen Bevölkerung. Branchenkollektivverträge machen Sinn, wenn sie Spezifika in den verschiedenen Tätigkeitsbereichen berücksichtigen. Ideal wäre es aber, wenn der Betriebsrat nicht nur das eigene Unternehmen und die einzelne Gewerkschaft beziehungsweise nicht nur ihre Branche im Blick hat.“
Nämliches gelte auch innerhalb des Betriebsrats. Es sei eben nicht so, dass eine Abteilung dann quasi ihren Vertreter oder ihre Vertreterin in dem Gremium sitzen habe. Dieses Denken führe auch dazu, dass die Betriebsratsmitglieder zwischen Partikular- und Kollektivinteressen zerrieben würden. Austausch im Sinn aller wäre hier der bessere Weg.