100 Jahre Achtstundentag

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Außer durch Faschismus und Krieg stand bis 2018 der Achtstundentag mit zehn Stunden Höchstarbeitszeit nie infrage. aber nur wenige Studenten und Akademiker.

Riegel vorgeschoben

Als Kaufpreis für die weitreichende Arbeitszeitverkürzung mussten zahlreiche Ausnahmebestimmungen im Gesetz selbst und durch Sonderverordnungen zugestanden werden. Allerdings schob die Bestimmung, dass die Ausnahmeverordnungen in einer paritätischen Kommission von Gewerkschafts- und Arbeitgebervertretern verhandelt werden mussten, einem kompletten Unterlaufen des Achtstundentagsgesetzes einen Riegel vor. In der Praxis kaum wirksam wurde aber die 44-Stunden-Woche für Frauen und Jugendliche und es dauerte etliche Jahre, bis die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes abgeschlossenen Kollektivverträge durch bessere, dem neuen Standard entsprechende ersetzt werden konnten. Bis zum Ende der demokratischen Republik vereinbarten die meisten Verträge die 46-Stunden-Woche und damit auch für erwachsene Arbeitnehmer einen früheren Arbeitsschluss am Samstag.

Meilenstein

Trotz etlicher Mängel kann das Arbeitszeitgesetz vom Dezember 1919 als Meilenstein der Sozialgesetzgebung angesehen werden – und die ZeitgenossInnen empfanden das auch so. Denn ab 1890 hatte die ArbeiterInnenbewegung „acht Stunden Arbeit, acht Stunden Schlaf, acht Stunden freie Zeit“ gefordert.

Nur selten war es den Gewerkschaften gelungen, in Kollektivverträgen eine kürzere Arbeitszeit oder gar den Achtstundentag durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund waren die Arbeitszeitgesetze der Republikgründungsjahre ein sozial- und demokratiepolitischer Durchbruch.

So beurteilte sie 1932 im Rückblick auch Richard Robert Wagner, der Organisator der Wiener Gewerkschaftsschule: „Das Achtstundentagsgesetz, Einschränkung der Arbeit von Frauen und Jugendlichen auf 44 Stunden in der Woche, Einschränkung und Verbot für Nachtarbeit, dann das Arbeiterurlaubsgesetz, Kulturgesetze ersten Ranges, schufen der Arbeiterschaft erst die nötige Freizeit und die Ausgeruhtheit, um die vielen Aufgaben demokratischer Selbstverwaltung in der Republik auf sich nehmen zu können …“ Als Wagner diese Zeilen schrieb, stand Österreich auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise, die Arbeitslosigkeit war schon mehrere Jahre extrem hoch. Vor allem auch als Maßnahme im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit forderte der Kongress der Freien Gewerkschaften 1931 die 40-Stunden-Woche – ein Ziel, das erst nach Jahrzehnten erreicht werden konnte.

Der „Zeitgeist“ wies in die Gegenrichtung. Das austrofaschistische Regime, das 1933 die demokratische Republik zerstörte, schaffte zwar den Achtstundentag formal nicht ab. Aber er stand nur mehr auf dem Papier, unter anderem weil die Unternehmensleitungen jetzt unbegrenzt Überstunden anordnen konnten.

Täuschung

Die nationalsozialistische Arbeitszeitverordnung von 1938 bestätigte den Achtstundentag und die zehnstündige Höchstarbeitszeit und verbesserte sogar den Schutz für Jugendliche und Frauen.

Der Faschismus „gab sich in marktschreierischer Weise als (…) Sozialstaat, um darüber hinwegzutäuschen, dass er aufgehört hatte, Rechtsstaat zu sein“, wie Bundespräsident Karl Renner dreißig Jahre nach der Republikgründung anmerkte. Während des Zweiten Weltkriegs wurde aber der Elfstundentag wieder die Regel und so blieb es vorerst auch noch zu Beginn der Zweiten Republik ab 1945. Die Gewerkschaften im neuen Österreichischen Gewerkschaftsbund kämpften am Verhandlungstisch und wenn das nicht ausreichte auch mit Streiks darum, an die fortschrittlichen Arbeitszeitstandards von 1918 und 1919 anzuknüpfen.

Bis 1950 wurde der Achtstundentag durch Kollektivverträge flächendeckend wieder eingeführt und es galt in der Regel die 48-Stunden-Woche; einige Berufsgruppen erreichten aber schon mehr. 1948, im Jahr des ersten ÖGB-Kongresses, setzten die SchuhmacherInnen mit dem größten Streik der Nachkriegszeit etwa die 44-Stunden-Woche durch, während der 1959 zwischen ÖGB und Wirtschaftskammer abgeschlossene Generalkollektivvertrag flächendeckend nur die 45-Stunden-Woche vorsah.

Von 38 auf 60 Stunden

Ein neuer Generalkollektivvertrag und dann das lange geforderte Arbeitszeitgesetz legten 1969 den Stufenplan zur Einführung der 40-Stunden-Woche fest, die 1975 für die überwiegende Mehrheit der ArbeitnehmerInnen Wirklichkeit wurde.

Angesichts enormer Produktivitätssteigerungen setzte die Gewerkschaftsbewegung auch im folgenden Jahrzehnt auf Arbeitszeitverkürzung und 1985 wurde in einem ersten Kollektivvertrag die 38-Stunden-Woche vereinbart.

Weitere Informationen:
www.neinzum12stundentag.at/Auswirkungen

Von
Brigitte Pellar
Historikerin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 9/18.

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Über den/die Autor:in

Brigitte Pellar

Brigitte Pellar ist Historikerin mit dem Schwerpunkt Geschichte der ArbeitnehmerInnen-Interessenvertretungen und war bis 2007 Leiterin des Instituts für Gewerkschafts- und AK-Geschichte in der AK Wien.

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