Natürlich steht Österreich vor enormen Herausforderungen. Der Klimawandel zwingt Wirtschaft und Gesellschaft zu einer Transformation, die Inflation vereinfacht die Situation nicht gerade. Schon früh in der aktuellen Herbstlohnrunde zeichnet sich ab, welches Konfliktpotenzial in dieser Gemengelage steckt. Gerade deswegen hat der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) den „10-Punkte-Plan für Standort und Beschäftigung“ präsentiert. Es geht darum, Österreich fit für die Zukunft zu machen, den Menschen eine Perspektive zu geben und die Chancen für die Wirtschaft zu optimieren.
ÖGB: 10-Punkte-Plan für Österreich
„Die hohen Zinsen belasten immer mehr Menschen, die auf Kredite angewiesen sind, aber auch die gesamte Wirtschaft. Viele müssen ihr tägliches Leben einschränken. Diese Entwicklung ist sofort zu stoppen. Wir müssen eine Investitionsoffensive starten“, fasst Helene Schuberth die aktuelle Situation in Österreich zusammen. Sie ist Chefökonomin beim ÖGB und sieht den 10-Punkte-Plan für Österreich als Fahrplan an, um diesen Weg zu erreichen.
Die 10 Punkte des ÖGB im Überblick:
- Einen umfassenden, verbindlichen und konkreten Plan und mehr Mittel für Investitionen in den Ausbau erneuerbarer Energien und Netzinfrastruktur
- Der Industrie muss eine Perspektive gegeben werden
- Bei Wohnen und Sanieren endlich durchstarten, Kreditnehmer:innen entlasten
- Öffentliche Verkehrsinfrastruktur ausbauen
- Öffentliche Vergaben zur Förderung von regionalen Dienstleistungen und regionalen Waren sind zu erleichtern
- Alle, die einen Arbeitsplatz wollen, sollen auch einen erhalten – Qualifizierungsoffensive für duale Transformation notwendig
- Booster in der Elementarbildung
- Personalnot im Pflege- und Gesundheitssektor verhindern
- Investitionen auf Gemeindeebene sicherstellen und stärken
- EU-Sparpolitik beenden – im Interesse von Investitionen in Standort und Beschäftigung
Es geht darum, Jobs zu sichern und Impulse für die Wirtschaft zu setzen. Und das nicht erst irgendwann, sondern am besten jetzt. „Der Handlungsbedarf ist groß, die Zeit rennt uns davon“, mahnt ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian.
Viele dieser Maßnahmen lassen sich mit kostenlosen Stellschrauben erreichen – etwa die Erhöhung der Schwellenwerte, bei denen eine öffentliche Ausschreibung nötig ist. Diese sind zeitintensiv und verhindern oft eine Auftragsvergabe an regionale Unternehmen. Andere sind zwar kostenintensiv – unter anderem die Erhöhung der Mittel für den Ausbau der Energie- und Verkehrsinfrastruktur – sind aber Investitionen für Generationen. Sie verleihen dem anstehenden Wandel Kostenwahrheit.
Infrastrukturmaßnahmen: Details zum 10-Punkte-Plan des ÖGB
Die Punkte, die den größten finanziellen Aufwand bedeuten, sind der Ausbau der Energie- und Verkehrsinfrastruktur. „Der Ausbau der Erzeugung durch erneuerbare Energie nutzt nichts, wenn die zur Verteilung des Stroms notwendige Infrastruktur zu schwach oder nicht vorhanden ist“, analysiert der ÖGB in seinem Papier. Ohne diese Infrastruktur sei jedoch der Wirtschaftsstandort Österreich gefährdet. Bis zum Jahr 2030 müssten deswegen 50 Milliarden Euro in diesen Ausbau investiert werden. Veranschlagt seien aber nur 12,2 Milliarden Euro. Die Regierung müsste als das Budget um 37,8 Milliarden Euro anheben.
Der zweite große Investitionspunkt ist der Ausbau der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur. „Das Klimaschutz-Investitionspotenzial im Verkehrsbereich bis 2030 wird von TU und Umweltbundesamt auf 38,1 Mrd. Euro geschätzt“, heißt es in dem Paket. Um diese Summe zu erreichen, müsste die Regierung 31,9 Milliarden Euro zusätzlich veranschlagen. Zu den Verkehrsaspekten gehört auch, die Wirtschaft beim Aufbau einer „grünen Logistik“ zu unterstützen.
Bessere Chancen für die Industrie
Auch bei anderen Punkten legt der ÖGB Wert darauf, die Gesamtwirtschaft in seinen Plänen einzubeziehen. Der Produktionssektor stehe vor zahlreichen Herausforderungen. Neben der Dekarbonisierung gehören dazu die Lieferketten, Rohstoffe, Energiepreise, ökologische und digitale Transformation. „Investitionen sind dringend für den Standort zu mobilisieren und haben große Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte“, schreibt der ÖGB. Er schlägt eine Investitionsoffensive von 8,5 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030 vor. „Um Standortschließungen entgegenzuwirken, ist ein staatlicher Beteiligungsfonds zu schaffen. Es gilt in Zeiten großer Unsicherheit den von Umbrüchen betroffenen Arbeitnehmer:innen zu versichern: Niemand wird zurückgelassen!“
Auch der Immobiliensektor steht im Fokus des ÖGB. Zum einen soll der 10-Punkte-Plan für Österreich den Neubau und die Sanierung ankurbeln, um mehr Wohnraum zu schaffen. Zu den Vorschlägen gehören unter anderem Zinzuschüsse für Kreditnehmer:innen, ein Ausbau des geförderten Wohnbaus, Erhöhung der Förderung für Sanierung und die Gründung einer öffentlichen Sanierungsbank (Vergabe günstiger Sanierungskredite). Zum anderen sieht der ÖGB Hilfsmaßnahmen für Kreditnehmer:innen mit einem variablem Wohnbaukredit vor. Die aktuelle Zinspolitik hat viele Menschen in Österreich in finanzielle Schieflage gebracht.
Hilfe vor Ort
Ein wichtige Stellschraube sieht der ÖGB auch in den öffentlichen Vergaben. „Jährlich wurden in den vergangenen Jahren in Österreich im Schnitt rund 67 Mrd. Euro von öffentlichen Auftraggebern vergeben. Das entspricht rund 18 Prozent des BIP“, heißt in dem Papier des ÖGB. Eine Erhöhung des Schwellenwertes von 100.000 auf 150.000 Euro (bei Dienstleistungen) und von 1 Million auf 1,5 Millionen (bei Bauaufträgen) könnte helfen, zeitaufwendige Ausschreibungen zu vermeiden und regionale Anbieter zu fördern.
Wichtig ist, dass Städte und Gemeinden die Freiheit für Investitionen haben, die sie dafür benötigen – sie tätigen ein Drittel der staatlichen Gesamtinvestitionen. Doch es drohen Kürzungen, da ihnen durch die Kürzung der Körperschaftssteuer und den Wegfall der kalten Progression Einnahmen wegbrechen. „Die Regierung muss daher rasch konkrete Schritte im Rahmen der Finanzausgleichsverhandlungen setzen und nicht nur eine Ankündigungspolitik betreiben“, fordert der ÖGB. Konkrete Schritte könnten zinsgünstige Kredite bei der Österreichischen Bundesfinanzierungsagentur (OeBFA) sein, mehr Mittel über Ertragsanteile, neue Abgaben (Leerstandsabgabe), Reform der Verschuldungsregeln oder eine Stärkung der Städte und Gemeinden durch den Klima-Investitionsfonds.
Doch nichts hilft so direkt wie hochwertige Arbeitsstellen. In den Augen des ÖGB ist es deswegen nicht zu verstehen, dass beim Arbeitsmarktservice (AMS) Kosten eingespart werden sollen. Vielmehr müsste die Regierung hier neue Planstellen schaffen. Ferner müssen die Qualifizierung und die Vermittlung die gleiche Priorität genießen.
Bildung, Pflege und Gesundheit
Österreich steht bei der Bildung und der Pflege eine Herkulesaufgabe bevor. Bei der Elementarpädagogik muss die Regierung endlich den flächendeckenden Ausbau des Angebots zur Betreuung von unter 3-Jährigen vorantreiben. „Ziel muss ein Rechtsanspruch auf einen Kinderbildungsplatz ab dem ersten Geburtstag sein, der tatsächliche Vereinbarkeit für Eltern gewährleistet, die beste Bildung für die Kinder bietet und endlich bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten schafft“, so der ÖGB. Erreicht werden könne dies mit einer Milliarde Euro mehr pro Jahr „für bessere Rahmenbedingungen und nachhaltigen Ausbau sowie aktuellen Betrieb des Kinderbildungsangebots aus dem Bundesbudget.“
https://twitter.com/HeleneSchuberth/status/1707697529897226337
In der Pflege macht die Personalnot der Branche zu schaffen. 76.000 Fachkräfte fehlen bis zum Jahr 2030. „Das WIFO prognostiziert eine Verdoppelung der jährlichen Nettokosten für Pflegesachleistungen von rund 2,6 Mrd. Euro im Jahr 2020 auf rund 5 Mrd. Euro im Jahr 2030“, heißt es im ÖGB-Papier. Noch gar nicht miteinkalkuliert ist hier der Finanzbedarf für die erforderlichen qualitativen Weiterentwicklungen.
10-Punkte-Plan für Österreich
Wichtig ist bei vielen Vorschlägen ein europäisches Vorgehen. Zum einen muss Österreich die EU-Sparpolitik beenden. Soziale und ökologische Investitionen müssen bei den EU-Fiskalregeln einen Sonderstatus erhalten. Doch auch auf der Einnahmenseite kann Österreich mehr tun. „Durch Steuerbetrug und Steuertricks von Konzernen und Reichen gehen in der EU jährlich rund 825 Milliarden Euro an Einnahmen verloren. Für Österreich werden die Steuerausfälle durch Steuerhinterziehung auf 12 bis 15 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Dazu kommt noch etwa eine Milliarde Euro Steuerausfall durch Steuertricks von Konzernen.“