Alles auf Schiene: Wird die ÖBB die neue Deutsche Bahn?

Ein Zug fährt durch die Natur in Österreich. Symbolbild für die österreichischen Bahnen wie die ÖBB.
Noch läuft bei den österreichischen Bahnen so einiges rund. Aber es gibt Baustellen. | © Ramin Aryaie/Unsere Bahnen
Sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr kommt Österreich immer mehr auf Schiene. Doch es gibt viele Baustellen, die die positive Entwicklung ausbremsen. Nur, wenn rechtzeitig gegengesteuert wird, kann die Bahn wieder aufblühen.
Ein makroökonomisches Fahrtenbuch: Die Schienen Control GmbH ist die Regulierungsbehörde für den Schienenverkehr in Österreich. Regelmäßig veröffentlicht sie einen Bericht, der Aufschluss über die wirtschaftliche Lage im Schienenverkehr in Österreich gibt. So ist darin unter anderem zu lesen, dass Österreich im Jahr 2021 europaweit „nach den zurückgelegten Zugkilometern pro Person auf dem dritten Rang hinter der Schweiz und – neuerdings – Frankreich“ platziert war. „Im europäischen Vergleich steht unser Eisenbahnsystem sehr gut da“, findet Lukas Oberndorfer, Leiter der Abteilung Klima, Umwelt und Verkehr der Arbeiterkammer Wien. Österreich sei schnell aus dem sogenannten Corona-Knick herausgekommen, der einen Einbruch bei den Nutzer:innenzahlen aller öffentlichen Verkehrsmittel zur Folge hatte. Es sei auch schon „so etwas wie ein Einstieg in die Mobilitätswende beobachtbar“, so Oberndorfer weiter. „Hier war auch das Klimaticket eine wichtige Innovation. Das Problem ist nur, dass nicht gleichzeitig auch für genug Personal und Schienenfahrzeuge gesorgt wurde.“ Und das sind bei weitem nicht die einzigen Schwachstellen, die ÖBB und Co. betreffen.

Porträt Lukas Oberndorfer. Für ihn sind österreichische Bahnen, wie die ÖBB unter Zugzwang.
Lukas Oberndorfer warnt: Es fehle an Personal und Schienenfahrzeugen. | © Markus Zahradnik

Schienenreiches Österreich

Wenn Menschen in Österreich an die Eisenbahnen denken, dann denken sie meist vor allem an die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB). Viele dürfte überraschen, dass es laut Bericht der Schienen Control insgesamt 86 Eisenbahnunternehmen in Österreich gibt. 39 davon sind private Unternehmen. Im Güterverkehr hält die ÖBB-Tochter Rail Cargo Austria zwar noch den höchsten Marktanteil mit 60,8 Prozent bei den Nettotonnenkilometern nach Unternehmensgruppen. Doch die „zweitgrößte Gruppe stellen die Bahnen im Privateigentum (z. B. Lokomotion, CargoServ, Ecco-Rail etc.) dar. Deren Marktanteil stieg in den letzten fünf Jahren von 14,3 auf 24,7 Prozent“, heißt es in dem Bericht weiter.

Deutschland hat die Bahnen sehr weit
liberalisiert. Am Zustand der dortigen Bahnen
zeigt sich, dass das nicht funktioniert. 

Olivia Janisch,
Vorsitzende des ÖBB-Konzernbetriebsrats

Dass die Bahnen in Österreich im europäischen Vergleich so gut aufgestellt sind, liege auch daran, dass es in Österreich einen Rahmenplan für die Weiterentwicklung der Österreichischen Bundesbahnen gebe, sagt die stellvertretende Vorsitzende des ÖBB-Konzernbetriebsrats, Olivia Janisch. Bis 2029 hat sich das Bundesministerium für Klimaschutz und Mobilität darin einige Ziele gesetzt. Unter anderem soll die Schieneninfrastruktur ausgebaut und verbessert werden, Bahnhöfe neu gebaut, Güterterminals erweitert und Strecken saniert werden.

Für Olivia Janisch bedeutet Mobilität vor allem Freiheit. Bahnen seien ein Teil der öffentlichen Versorgung. „Sie sind unser Eigentum.“ Dass Österreich einen Rahmenplan zur Weiterentwicklung habe, gebe Stabilität. „In Europa sehen wir, wohin die Liberalisierung führt“, sagt Janisch. „Deutschland hat die Bahnen sehr weit liberalisiert. Am Zustand der dortigen Bahnen zeigt sich, dass das nicht funktioniert.“

Direktfahrt aufs Abstellgleis

Im Güterverkehr wird deutlich, wo Liberalisierungen und Einsparungen bei der Bahn an ihre Grenzen stoßen und zur Gefahr werden. „Hier gibt es profitable und nicht profitable Bereiche“, erklärt Luise Wimmler, Expertin aus dem Referat Internationales und Wirtschaft der Gewerkschaft vida. „Besonders die nicht profitablen Bereiche sind für ein ökologischeres Transportwesen besonders wichtig.“ Das betrifft vor allem den sogenannten Einzelwagenverkehr. Hinter diesem Begriff verbirgt sich eine Methode zur flexiblen Zusammenstellung von Güterzügen. Ein aus Einzelwagen bestehender Güterzug transportiert Güter vieler unterschiedlicher Auftraggeber:innen. Damit das funktionieren kann, bedarf es aber an den verschiedenen Knotenpunkten entlang der Bahnstrecke gut funktionierender logistischer Infrastrukturen, um Wagen an- und abzukoppeln und Güter eventuell für die „letzte Meile“ auf andere Verkehrsträger umzuladen.

Neben Anschlussgleisen, Terminals und Lokomotiven braucht es dafür auch ausreichend Personal. „Kein Zug fährt ohne Menschen“, sagt Olivia Janisch. „Und die kommen nur, wenn die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung stimmen. Deshalb benötigen wir auch einen Rahmenplan für das Personal, nicht nur für die Infrastrukturen. Doch den gibt es bislang nicht.“ Ganz im Gegenteil: Das ÖBB-Management habe auf Geheiß der Politik zu lange auf eine Politik des „bewussten Mangels“ gesetzt. „Jetzt haben wir zu wenig Personal. In den nächsten sechs Jahren gehen rund 19.000 Beschäftigte in den Ruhestand. Das ist die Hälfte des Personals.“

Olivia Janisch. Damit ÖBB und andere Bahnen funktionieren braucht es Arbeitskräfte.
„Kein Zug fährt ohne Menschen“, sagt Betriebsratsvorsitzende Olivia Janisch. Und die kommen nur, wenn die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung stimmen. | © Markus Zahradnik

Gerade der Einzelwagenverkehr biete aus ökologischer Sicht gegenüber dem Lkw-Verkehr massive Vorteile, so Janisch. „Ein Güterzug ersetzt bis zu 52 Lkws. Der Einzelwagenverkehr in Österreich ersetzt 500.000 Lkw-Fahrten pro Jahr. Das sind 1.370 Fahrten pro Tag.“ Luise Wimmler teilt diese Ansicht, gibt aber zu bedenken: „Die ökologische Bedeutung des Einzelwagenverkehrs lässt sich nicht profitabel abbilden. Deshalb wollen private, profitorientierte Unternehmen sich das niemals antun. Hier liegt die große Gefahr weiterer Liberalisierung.“

Angriff auf die Direktvergabe

Genau dies bahnt sich derzeit innerhalb der EU an. Gefahr droht den Bahnen durch neue Leitlinien der EU-Kommission, welche die bislang in Österreich praktizierte Methode der Direktvergabe gefährden. Eisenbahnleistungen im Personenverkehr könnten demnach einem Ausschreibungszwang unterworfen werden. Die Folgen: Arbeitsplätze könnten weiter abgebaut, Strecken stillgelegt werden. Denn ähnlich wie beim Güterverkehr werden sich private Bahnkonzerne auch im Personenverkehr bemühen, nicht profitable Bereiche nach Möglichkeit abzustoßen. Gerade mit Blick auf das schrumpfende CO2-Budget plädiert Oberndorfer für eine planende Wirtschaftspolitik, die aktive Beschäftigungs- und Industriepolitik gemeinsam denkt.

Im Bereich des Güterverkehrs haben die Gewerkschaft vida und die ÖBB ein gemeinsames Positionspapier entwickelt, das in Teilen derartige Punkte aufgreift. Dieses Papier fordert unter anderem eine Modernisierung der europäischen Schienenflotte, da im Jahr 2019 mehr als 50 Prozent des europäischen Güterwagenbestands bereits ein Alter von über 30 Jahren erreicht hätten. Außerdem wird eine stärkere Förderung des Ausbaus privater Anschlussbahnen gefordert. Hierbei handelt es sich um Gleisanlagen „auf der letzten Meile“, um Güter auf der Schiene in Logistikzentren und Produktionsstätten transportieren zu können. Eine deutliche Absage gibt es für das Vorhaben, sogenannte „Gigaliner“ auf der Straße zuzulassen. Würden sich diese extrem schweren Lkws mit über 25 Meter Länge durchsetzen, würde dies eine „massive Rückverlagerung von der Schiene auf die Straße“ bedeuten, heißt es in dem Papier.

Ob mehr Förderungen oder mehr Personal: Sinnvolle Maßnahmen werden immer als zu teuer abgeschmettert, kritisiert Luise Wimmler von der vida. Nicht zu handeln koste aber viel mehr. | © Markus Zahradnik

Auch Olivia Janisch moniert, dass sich die Straße nicht an den Kosten für Lärm oder Umweltverschmutzung beteilige, während Unternehmer:innen, die Güter auf die Schiene bringen wollen, die Kosten für die Verladung selbst tragen müssen. „Wir brauchen eine Verladeförderung. In manchen Bundesländern gibt es bereits Förderungen. Aber es braucht auch politischen Willen bei den Finanz- und Verkehrsministerien.“ Ein Beispiel für eine derartige Förderung ist das Land Salzburg. Hier wird jede Transportfahrt durch das Bundesland mit 240 Euro pro Waggon gefördert. Das Modell scheint erfolgreich zu sein. Laut Angaben des Landes Salzburg ist die Zahl der geförderten Einzelwagen im Jahr 2023 um 25 Prozent gestiegen.

Das kostet alles so viel?

„Immer, wenn wir sagen, dass es mehr Förderungen braucht – oder eine aktive Industriepolitik oder mehr Personal –, dann hören wir, dass das alles so viel kostet“, zieht Luise Wimmler ein Fazit. „Aber die Alternativen, also wenn wir all dies nicht machen, kosten doch viel mehr. Wenn es Unfälle aufgrund des Personalmangels gibt, dann zahlt das die Allgemeinheit. Und wenn wir der Klimakrise nicht begegnen, dann verlieren wir unsere Lebensgrundlage.“

Die Bahnen sind unverzichtbarer Teil der Lösung, wenn es um die Bewältigung der Klimakrise geht – so viel scheint klar. Gleichzeitig ist die Bahn aber auch von ihr betroffen, wie Olivia Janisch berichtet. „Die zunehmenden Extremwetterereignisse betreffen die Bahnen. Klimakrise bedeutet in diesem Fall konkret, dass ich mehr Menschen brauche, um Strecken zu reparieren, auf Gleise gefallene Bäume zu beseitigen oder Murenabgängen zu begegnen. Auch Züge und Waggons müssen repariert werden. Hierfür fehlen allein in den Werkstätten 800 Personen.“

Auch gebe es inzwischen zunehmend gefährliche Personalengpässe, etwa bei den Zugbegleiter:innen. „Wir fordern zwei Zugbegleiter:innen in jedem Zug, egal ob Regional- oder Fernverkehr“, sagt Janisch. „Sie haben sicherheitsrelevante Aufgaben, zum Beispiel bei Evakuierungen. Und wenn gleichzeitig hinten im Zug ein Kind kotzt, vorne ein Fahrgast randaliert und in der Mitte ein WC nicht funktioniert, dann muss sich um all das der:die Zugbegleiter:in kümmern. Hier fehlen sehr viele.“

Das sieht auch Oberndorfer so. Im vergangenen Jahr hatten die ÖBB zwar ein Plus beim Personalbestand um 1,5 Prozent. „Gleichzeitig aber ist für das Jahr 2024 eine Fahrplanausdehnung um sechs Prozent angekündigt worden. Hier besteht eine ziemliche Kluft zwischen der Ausweitung der Kapazitäten und der Ausweitung der Beschäftigung.“ Sollte das hierfür nötige Geld aber in die Hand genommen werden, dann klappt es vielleicht wirklich mit einer Bahn für alle.

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